EL-Achtelfinale, DFB-Pokal-Halbfinale, Punkterekorde, Pokalfinale der Frauen, Qualifikation für Europa. In der Serie „Mein Spiel der Saison“ berichten zehn Autor/innen von ihren einprägsamsten Erlebnissen 2022/23. Heute: Das letzte Heimspiel 22/23.
Wir schreiben die 75. Spielminute am 33. Spieltag der Bundesliga-Saison 2022/23, dem letzten Spiel vor heimischer Kulisse und damit verbunden auch dem letzten Heimspiel für Stadionsprecher Claus Köhn, Johnny Schmid und „Fußballgott“ Nils Petersen. Bis hier hin ist es ein Spiel ohne die ganz großen Höhepunkte und doch führt der Sport-Club gegen den VfL Wolfsburg mit 1:0, weil Christian Günter vier Minuten zuvor per abgefälschtem Distanzschuss getroffen hat. Im Zentrum behauptet Nicolas Höfler gerade die Kugel und spielt dann einen hohen Diagonalball auf den rechten Flügel. Roland Sallai, der sich bereits den Assist des ersten Treffers gesichert hat, legt sich den Ball mit seinem rechten Oberschenkel perfekt in den Lauf, dribbelt bis an die Sechzehnerkante und bringt den Ball flach in den Strafraum.
Als Clubfotograf und Social Media Manager bei Spieltagen beobachte ich das Geschehen aus rund zehn Metern Entfernung, von hinter der Bande, rund 15 Meter links vom Tor - wobei „beobachten“ irgendwie auch das falsche Wort ist. Mit einem Auge suche ich parallel noch das schönste Foto von Günnis Treffer auf meinem Smartphone heraus, das kurz darauf in der Instagram-Story des Sport-Club landen soll. Als Lucas Höler den Ball am ersten Pfosten dann aber verpasst, wird mir klar: Das was jetzt gerade passiert, hat Vorrang. Ich lege das Handy zur Seite, greife zur Kamera und versuche das Spielgeschehen noch irgendwie einzufangen – aber zu spät. Der Ball liegt schon im Netz.
„Klick“, „Klick“, „Klick“, „Klick“, … Draufhalten ist angesagt, so viele Bilder wie möglich braucht es jetzt. Aber das Tor ist im Weg, ich muss näher hin. Im Vollsprint, wie ich ihn sonst nur zu meinen besten Zeiten gezogen habe, renne ich in Richtung Jubeltraube. Wie alle anderen Fotografen, die diesen besonderen Moment festhalten wollen, knipse ich was das Zeug hält.
Als sich die Situation beruhigt und das Spiel wieder läuft, bleibt’s für mich hektisch. Günnis Tor muss schließlich noch immer in die Instagram-Story und die Fotos von gerade warten auch schon darauf, verschickt zu werden. Eins nach dem Anderen, denke ich und beginne die Kamera mit dem Smartphone zu verbinden. Als ich mir die drei schönsten Jubelbilder aufs Handy gezogen und versendet habe, mache ich weiter mit der Instagram-Story. Aber auch dieses Mal wieder nur mit eingeschränkter Aufmerksamkeit. Der nächste Angriff läuft bereits und wieder hat Roland Sallai den Ball auf der Außenbahn. Reflexartig greife ich zur Kamera und halte drauf – Unfassbar, Nils macht tatsächlich auch noch das 3:0…
Während das Stadion erneut explodiert und sich die Mannschaft auf den „Fußballgott“ stürzt, meldet sich der VAR: Foulspiel im Vorfeld, der Treffer wird aberkannt. Kaum mal durchgeatmet und die Finger sortiert, ist auch schon Schluss. Der Sport-Club gewinnt sein letztes Heimspiel in dieser Saison und den Schlusspunkt setzt ausgerechnet Nils.
Für mich geht’s jetzt zur Mannschaft auf den Platz. Ich versuche so viele Emotionen einzufangen wie möglich und schieße ein Foto nach dem anderen: Nils mit der Fahne, Johnny Schmid auf dem Zaun, Chicco Höfler, Manuel Gulde und Co. mitten im Block. So etwas habe ich noch nie erlebt.
Mittlerweile ist es fast 1.00 Uhr, ich bin zurück im Büro und setze mich auf meinen Stuhl. „Was ist das für eine Geschichte?“, frage ich mich und durchforste mehr als 1.500 Bilder, die ich in den vergangenen dreieinhalb Stunden geschossen habe. Dann kommt mir die Antwort: Eine Geschichte, die nur der Fußball schreibt…
Der Autor: Marco Schmittner (28) arbeitet seit Juli 2022 als Digital Redakteur beim Sport-Club Freiburg und begleitet die Spieltage der Profimannschaft als Fotograf und Social Media Manager.
Fotos: Marco Schmittner
