Take the long way home

Der Weg nach Berlin: Osnabrück

Profis
17.05.2022

Sechs Spiele, sechs Auswärtsfahrten, sechs Autor*innen. Wir nehmen euch in dieser Woche mit auf den langen Weg ins Pokal-Finale in Berlin. Heute: Runde zwei beim VfL Osnabrück.

Noch 600 Kilometer bis Freiburg. An Schlaf ist trotz vorgerückter Stunde nicht zu denken. Auf der A1 Richtung Süden läuft für uns die Verlängerung der Verlängerung der Verlängerung, die irgendwann gegen 6 Uhr morgens ihr Ende finden wird. Vor meinem inneren Auge spielen sich einzelne Szenen des vorangegangenen Pokal-Abends in Osnabrück ab, die stets direkt von neuen Bildern überlagert werden: Die Fan-Tankstelle ein gutes Stück abseits des Stadions, an der man seine Akkreditierungen abholen musste; ein Schlenzer aus fiesem Winkel von Vince zur Führung; der aufgepeitschte Heim-Stehblock an der Bremer Brücke, der mit dem Ausgleich von Lukas Gugganig vollkommen eskaliert; die Schlotterbecks in heftigen Zweikämpfen mit Opoku, Higl und Co.; ein schön herausgespieltes  Kontergegentor in der 108. Minute; Keven Schlotterbeck mit seinem Jubel vor den mitgereisten SC-Fans nach dem 2:2 in der 120. Minute; und schließlich immer wieder in Endlosschleife: Die gehaltenen Elfmeter von Benjamin Uphoff und die Freiburger Jubeltraube nach dem so knappen Sieg.

Noch 500 Kilometer bis Freiburg. Im Radio laufen hohe dreistellige Platzierungen der SWR1-Hitparade. Nach Abpfiff hat uns die Nachricht des Todes von Carmelo Policicchio erreicht, in dessen Swamp ich mit 14 meinen ersten Platzverweis – freundlich aber mit Nachdruck ausgesprochen – erteilt bekommen habe. Ich frage mich, was „Chico“ wohl über diese Auswärtsfahrt nach Osnabrück geschrieben hätte, wann ich das erste Mal auf der Südtribüne eine seiner Kolumnen im „Heimspiel“ verschlungen habe und wie er über meine Top-5-Songs urteilen würde, die ich einige Tage zuvor wie jedes Jahr pflichtbewusst für die Hitparade eingereicht habe. Vor allem aber macht es mich traurig, dass er diesen zehrenden, mitreißenden Pokalabend, an dem Sieg und Niederlage so eng beieinander lagen, nicht miterleben konnte.  

Noch 400 Kilometer bis Freiburg. Wir jagen einsam durch die dichte Nebelsuppe vor uns. Mein träges Hirn kramt nach vergleichbaren Pokalerlebnissen, findet Erinnerungen an Soumaila Coulibaly und ein 7:3 gegen den FC Schalke, an einen schmeichelhaften Elfmeterpfiff nach einem „Foul“ an Ivan Santini beim 1. FSV Mainz, an einen Abend Anfang der 2000er als ich aus Wut über eine Niederlage in der Verlängerung gegen den VfB Stuttgart mein altes Zimmer in Mengen in seine Einzelteile zu zerlegen drohte.

Noch 300 Kilometer bis Freiburg. Ich sitze wieder auf der Pressetribüne in Osnabrück, es läuft die 110. Minute. Ein stark angetrunkener VfL-Fan hat sich auf den verwaisten Platz neben mir gezwängt und schimpft nun – sein Bier gefährlich in Richtung meines Laptops wackelnd – abwechselnd auf den Schiedsrichter, den Sport-Club und die „verdammten zehn Minuten“ Restspielzeit. Ich will ihm sagen, dass ich ihn und die knapp 12.000 Fans im Stadion für die Hingabe, die sie ihrer Mannschaft auch in der 3. Liga entgegenbringen, bewundere, finde mich aber zu meiner Überraschung irgendwo auf Höhe Frankfurt wieder. „Um diese Uhrzeit sind nur noch Fernfahrer und Verrückte unterwegs“, sagt der Kollege Bauer am Steuer – und der muss es wissen, schließlich hat er in den vergangenen 35 Jahren kein einziges Spiel versäumt.

Irgendwann machen wir im Niemandsland der Nacht eine kurze Pause. Die Kälte kann mich nur für ein paar Sekunden zurück in die Gegenwart ziehen. Im Radio erzählt ein leicht irre wirkender Nachtschwärmer stolz, dass er plant bis zum Morgen noch 100 weitere (!) Nussschnecken zu backen.  Ich zerre mir etwas im Hippocampus beim Versuch mich an unser letztes Heimspiel im Pokal zu erinnern. Aus dem Nebel vor mir materialisiert sich Rodolfo Esteban Cardoso, und behauptet – mit seiner Panini-Karte von 1994 in der Hand wedelnd – dass wir auf dem Weg ins Finale noch gegen Hoffenheim, Bochum und den HSV gewinnen werden. Ich sollte jetzt wirklich schlafen. Noch 200 Kilometer bis Freiburg, noch 2.262 Kilometer bis Berlin.

Der Autor: David Hildebrandt (33) wurde von seinen Eltern in den frühen 90ern mit dem SC sozialisiert und ist beim Sport-Club seit mittlerweile knapp drei Jahren in der Abteilung „Kommunikation und Medien“ tätig.

Foto: Bernd Thissen

 
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