"Icke war sogar noch kleiner"

Profis
07.03.2024

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim VfL Bochum kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Dariusz Wosz.

Herr Wosz, das „Tor des Jahres“ 2023 hat Florian Wirtz von Bayer Leverkusen mit seinem Solotreffer im Oktober gegen den SC Freiburg erzielt. Haben Sie als ausgewiesener Freistoß- und Dribbelkünstler auch mal solch eine Auszeichnung erhalten?

Wosz: Nein, aber ich meine, nach meinem 40-Meter-Tor in Freiburg mal in der Auswahl zum „Tor des Monats“ gestanden zu haben ...

... Sie sprechen vom 18. März 1995: Am 22. Spieltag spielt der abstiegsgefährdete VfL Bochum beim Sport-Club, der im zweiten Bundesligajahr eine sensationelle Saison spielt und am Ende Tabellendritter wird.

Wosz: Wir waren nicht unbedingt Favorit an jenem Spieltag, aber unsere Einstellung war stets, hinzufahren und gewinnen zu wollen – egal, wie der Gegner hieß. Wir führten früh 1:0, und Mitte der zweiten Halbzeit eroberte ich mir im Mittelfeld den Ball und sah, dass SC-Keeper Jörg Schmadtke vor dem Sechzehner rumturnte. Da habe ich nicht lange gezögert und mit rechts – meinem schwächeren Fuß – einen langen Ball über ihn hinweg ins Tor geschlenzt.

Auch wegen solcher Tore, aber vor allem wegen Ihrer Dribblings, tauften Reporter Sie bald „Zaubermaus“.

Wosz: Wenn mich jemand fragt, welchen Spitznamen ich früher hatte, sage ich ihm nicht unbedingt „Zaubermaus“. Trotzdem hat mich diese Bezeichnung geehrt. Sie spielte ja auch auf den Begriff „graue Maus“ an, wie man den VfL Bochum irgendwann nannte, weil er in der Bundesliga jahrelang nur um den Klassenerhalt gespielt hatte. Dabei ist es doch schon besonders, überhaupt Bundesliga zu spielen.

Eine „Zaubermaus“ jedenfalls wird man nicht umsonst: Wie kamen Sie zu Ihrem herausragenden Gefühl für den Ball?

Wosz: Die Grundlage waren sicherlich die unzähligen Stunden auf der Straße als Kind. Vier Steine für die Torpfosten, dann kickten wir los. Stundenlang. Oder auf dem Kartoffelacker – da lernt man besonders gut, mit allen Unebenheiten klarzukommen. Und später war ich ein sehr fleißiger Profi. Klaus Schlapka, ehemaliger Torhüter des VfL und Teil unserer Legendenmannschaft, erzählt oft, wie ich ihn immer nach dem Training bat, noch 20 Minuten Freistöße mit mir zu trainieren. Ich denke: Wenn sich einer verbessern will, muss er hart an sich arbeiten. Schauen Sie sich nur mal Cristiano Ronaldo an: Der geht immer noch jeden Tag zusätzlich eine Stunde in den Kraftraum.

Es soll in Ihrer Jugend Zweifler gegeben haben, ob dieser kleine und schmächtige Junge jemals das Zeug haben würde, sich später einmal bei den Profis durchsetzen zu können.

Wosz: Es gab aber in der DDR, wo ich aufwuchs, mit Frank Engel einen Trainer, der für den Nachwuchs zuständig war und mich, auch wenn ich stets einen Kopf kleiner war als die anderen, dennoch bei der DDR-Auswahl aufnahm.

Auch Ihr späterer Trainer beim Halleschen FC, Karl Trautmann, erkannte Ihr Talent. Er sagte einst über Sie: „Vom Körperbau her ist er ein Kleiner, aber er kann mal ein ganz Großer werden.“

Wosz:Trautmann war ein wichtiger Förderer, wie später auch beispielsweise Klaus Toppmöller, nachdem ich 1992 von Halle nach Bochum gewechselt war. Peter Neururer, einer meiner langjährigen Trainer, hat einmal gesagt: „Es gibt gute Spieler und es gibt schlechte. Und das hat erst mal nichts mit der Körpergröße zu tun.“ Schauen Sie sich nur mal Messi an, oder damals Xavi oder Iniesta, die ich sehr bewunderte ...

… oder Mehmet Scholl oder „Icke“ Häßler, Ihre damaligen Kollegen in der Nationalmannschaft – auch keine Riesen.

Wosz: Icke war sogar noch kleiner als ich! Es war eine Ehre für mich, mit ihnen jahrelang in der Nationalmannschaft zu sein, auch wenn ich in der Zeit nur auf 17 Länderspiele kam. Aber die Konkurrenz war groß im Mittelfeld, da gab es ja auch noch Andreas Möller oder Stefan Effenberg. Ich war nur immer sehr stolz darauf, nicht als Bayern- oder Dortmund-Spieler erstmals nominiert worden zu sein, sondern als Spieler des „kleinen“ VfL Bochum.

Aber hat es Sie nicht auch mal gereizt, bei größeren Clubs zu spielen? Die Angebote waren schließlich da: Arsenal London oder Paris St. Germain sollen angeklopft haben.

Wosz: Die Geschichte mit Arsenal stimmt nicht. Aber der FC Valencia wollte mich mal haben, auch die AS Monaco und Paris. Im Nachhinein hätte es sicher seinen Reiz gehabt, bei einem dieser Vereine zu spielen – aber was soll´s. Ich habe mit dem VfL zwei Mal den UEFA-Cup erreicht, wir sind in meinen zwölf Jahren in Bochum vier Mal wieder aufgestiegen – tolle Erfolge für mich und den Verein!

Die gemeinsame Geschichte führen Sie noch heute fort.  

Wosz: Nach meiner aktiven Karriere durfte ich acht Jahre lang die U19 des VfL trainieren. Da habe ich Spieler wie Leon Goretzka oder Ilkay Gündogan ausgebildet. Das war wunderbar. Ich konnte prägen und mitreißen. Noch heute – ich leite mittlerweile die VfL-Fußballschule – sagen mir ehemalige Spieler: Dariusz, dir war in erster Linie nicht der Fußball wichtig, sondern stets der Mensch. Ein schönes Kompliment.       

Dariusz Wosz (54) hat zwischen 1992 und 1998 sowie von 2001 bis 2007 für den VfL Bochum 383 Pflichtspiele bestritten. Die „Zaubermaus“, wie Medien den Mittelfeldspieler nannten, absolvierte zudem 17 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. Heute leitet er die VfL-Fußballschule.

Interview: Christian Engel

Foto: Imago Images

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist

 
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