Hertzsch: „Das konnte man nicht ahnen“

Profis
09.11.2022

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel bei RB Leipzig kommt in Heimspiel einer der ehemaligen Spieler des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Ingo Hertzsch

Herr Hertzsch, direkt im Anschluss an Ihre Karriere fingen Sie 2011 im Marketing von RB Leipzig an, kümmern sich seit Sommer als Nachhaltigkeitsmanager um ökologische und soziale Projekte im Verein. Steht man da mit den anderen Bundesligavereinen in Kontakt und tauscht sich über die jeweiligen Projekte aus?

Hertzsch: Es gibt zahlreiche Bundesligavereine, die in diesem Bereich schon seit Jahren gute Arbeit leisten: Werder Bremen etwa oder auch der SC Freiburg. Wenn wir uns mit Vertretern anderer Vereine treffen, findet immer ein intensiver Austausch statt. Da ist jeder offen, seine Projekte vorzustellen, seine Ideen weiterzugeben.

Welches Freiburger Projekt gefällt Ihnen besonders gut?

Hertzsch: Da fallen mir als Erstes die Sport-Quartiere ein, die der Sport-Club etablieren und ausweiten möchte. Das ist eine ungemein wichtige Sache, Kinder dazu zu bringen, sich zu bewegen. Kinder haben in der Freizeit so viele Reize und Angebote, dass Sport und Bewegung da einfach zu kurz kommen. Solche Sport-Quartiere, wie der SC Freiburg sie eingeführt hat, könnte ich mir auch in Leipzig sehr gut vorstellen.

Vielleicht wird dabei ja auch der nächste Ingo Hertzsch entdeckt…

Hertzsch: Talentierte Spieler zu entdecken, wäre sicherlich ein schöner Nebenaspekt, aber in erster Linie geht es schlicht darum, Bewegungsangebote zu schaffen, Kinder für Sport und Fußball zu begeistern.

Für Fußball begeistern, musste man Sie als kleinen Jungen wahrscheinlich nicht.

Hertzsch: Nein, bei mir gab es nur Fußball! Mit meinem großen Bruder habe ich ständig bei uns im Garten gekickt. Im Verein im Ort, bei der BSG Stahl Callenberg, habe ich ab den Bambinis gespielt…

…und mussten einige Jahre später so auffällig gut gewesen sein, dass Sie mit 13 Jahren ins Internat zum Chemnitzer FC durften, dem großen Verein der Region. Klingt aufregend, stellen wir uns aber auch schwierig vor.

Hertzsch: Ich hatte am Anfang natürlich hin und wieder Heimweh, das Schöne aber ist und war: Fußball ist ein Mannschaftssport. Und so lebte ich inmitten von vielen fußballbegeisterten Jungs – daher fiel es mir sehr leicht, Freundschaften zu schließen, mich in der Gemeinschaft wohlzufühlen. Zudem lebten meine Eltern ja nicht weit weg, und ich habe sie häufig gesehen.

Sie spielten später in der Bundesliga beim Hamburger SV, für Bayer 04 Leverkusen, Eintracht Frankfurt , den 1. FC Kaiserslautern. Und als Sie mit 32 Jahren ziemlich ausgereift waren und eine lange Bundesligakarriere hinter sich hatten, rief im Sommer 2009 mit RB Leipzig plötzlich ein ganz neuer Verein an, der seine ersten Schritte gehen wollte: mit Ihnen als Kapitän.

Hertzsch: In jenem Sommer war ich nach meinem Abschied aus Augsburg vereinslos. Ich hatte im kicker über die Gründung von RB Leipzig gelesen, und als sie anriefen, musste ich nicht lange überlegen. Ich sah es einfach als sehr reizvoll an, Teil dieses Projekts zu werden.

War Ihnen denn von Anfang an klar, dass RB Leipzig einen solch erfolgreichen Weg einschlagen würde, der nur ein paar Jahre später in die Bundesliga und sogar in die Champions League führt?

Hertzsch: Das konnte man nicht ahnen, nein. Ich erinnere mich an die ersten Trainingseinheiten: Wir haben die ausrangierten Trainingsklamotten der U17 und U19 aus Salzburg getragen. Man durfte nie zu spät zum Training kommen, weil sonst die besten Größen vergeben waren – da wurden die Hosen bisweilen schon ganz schön eng. Ein Ballsack mit Bällen von verschiedenen Marken und die Hälfte davon platt: Diese Zeiten hat RB schnell hinter sich gelassen.

Ebenso die Oberliga: Gleich im ersten Jahr gelang Ihnen mit Leipzig der Aufstieg – nach 26 Siegen in 30 Spielen.

Hertzsch: Die erste Saisonhälfte lief noch ein wenig zäh, Bautzen lag uns ständig im Nacken. Wir blieben dann aber 24 Spiele am Stück ungeschlagen und sind letztlich souverän mit 80 Punkten und weitem Abstand zum Zweiten aufgestiegen. In der Regionalliga musste RB dann mit drei Spielzeiten etwas länger als geplant bleiben. Ich glaube aber rückblickend: Diese Wartezeit tat dem Verein gut, um das ganze Umfeld in Ruhe zu entwickeln.

Wissen Sie eigentlich, wie froh wir sind, dass Sie nicht mehr gegen den SC Freiburg auflaufen können? Kaum ein Spieler hat so eine gute Bilanz gegen den Sport-Club wie Sie.

Hertzsch: In neun Partien gegen den Sport-Club konnte ich sieben Mal gewinnen und habe kein einziges Spiel verloren. Das lag aber daran, dass meine Vereine – ob der HSV, Leverkusen oder Frankfurt – damals allesamt ein bisschen stärker waren. Heute ist das anders. Der SC Freiburg hat sich dank toller Arbeit extrem gut entwickelt und ist derzeit nicht umsonst oben dabei. Beim Spiel am Mittwoch wird es keinen klaren Sieger geben. Aber er wird dennoch Leipzig heißen.

Interview: Christian Engel

Dieser Artikel erschien erstmals in "Heimspiel" zum Spiel gegen den 1. FC Köln.

 
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