"Ein unbeschreibliches Gefühl"

Verein
18.01.2023

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor der Partie beim VfL Wolfsburg kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Gegners zu Wort: Siegfried Reich

Herr Reich, wurde der Spruch „Er erlebt gerade seinen zweiten  Frühling“ eigentlich wegen Ihnen erfunden?

Siegfried Reich: (lacht) In der Tat bin ich beim VfL Wolfsburg im zweiten Teil meiner Karriere noch mal aufgeblüht. Ich war ja schon 31, als ich zu meinem Heimatverein zurückkehrte, in diesem Alter denken die meisten über das Karriereende nach. Ich ehrlich gesagt auch. Als ich 1991 nach Wolfsburg kam, sagte ich, ich würde dem Verein helfen, aufzusteigen und dann die Liga zu halten, anschließend würde ich aufhören. Dass es am Ende noch mal sechs Jahre werden würden und ich erst mit 38 aufhörte, das war eigentlich nicht der Plan gewesen.

Aber letztlich war es trotzdem unplanmäßig schön, weil Sie noch so viele Highlights in dieser Zeit erleben durften.

Und wie! Ich denke da natürlich an das DFB-Pokalfinale 1995, als wir als Zweitligist aber sowas von überraschend nach Berlin fahren durften. In bester Erinnerung bleibt mir natürlich das Halbfinale beim 1. FC Köln, der damals eine Klasse über uns war und mit Bodo Illgner, Toni Polster und Bruno Labbadia richtig gute Spieler hatte. Aber wir gingen in der 20. Minute in Führung …

… durch ein Tor von Ihnen …

 … ja, und wir lieferten in der Folge eine klasse Abwehrschlacht und gewannen auch 1:0. Wir spielten alle über unserer Leistungsgrenze – ein tolles Erlebnis. Das Finale in Berlin gegen Borussia Mönchengladbach war dann aber eine eindeutige Sache. Sie waren mit Spielern wie Stefan Effenberg, Uwe Kamps und Heiko Herrlich einfach eine Nummer zu groß für uns. Es war dennoch ein unbeschreibliches Gefühl, im Olympiastadion zu spielen, die Atmosphäre und Stimmung mitzuerleben – da konnten wir das 0:3 ganz gut verkraften, auch wenn wir den Titel natürlich gerne geholt hätten.

Gleich in Ihrer ersten Saison stiegen Sie mit dem VfL Wolfsburg aus der Oberliga Nord auf …

 … um gleich darauf fast wieder abzusteigen. Die Saison 1992/93 in der 2. Bundesliga war enorm anstrengend. Im Jahr zuvor hatte man in der 2. Liga in zwei Staffeln gespielt, Nord und Süd. Man wollte aber wieder zu einer eingleisigen Liga zurückkehren, was bedeutete: Die Liga bestand plötzlich aus 24 Mannschaften. Das hieß: Jeder hatte 46 Partien zu bestreiten. Wir waren damals Halbprofis, arbeiteten morgens im VW-Werk, fuhren dann mit dem Bus zum Trainingsgelände. Es kam vor, dass wir von einer Auswärtsfahrt um 2 Uhr nachts nach Hause kamen und am nächsten Morgen um 6 Uhr im Werk stehen mussten. Das ging einfach auf Dauer nicht. Daher war es die richtige Entscheidung, dass man uns zur zweiten Saisonhälfte zu Vollprofis machte – sonst wären wir am Ende sicherlich abgestiegen.

Die Saison 1992/93 lief für den VfL sehr durchwachsen, ständig standen Sie im Abstiegskampf, auch weil gleich sieben Teams runter mussten, die halbe Liga unten drin hing. Einen Wendepunkt gab es für Sie und Ihr Team ausgerechnet in Freiburg.

Es war der 27. Spieltag, Freiburg war zu dem Zeitpunkt Tabellenführer, die überragende Mannschaft der 2. Liga, die alle an die Wand spielte. Und wir? Naja, wir hatten in den vorherigen 17 Spielen nur drei Siege eingefahren – wären in Freiburg also schon mit einem Punkt zufrieden gewesen. Aber dann kam es anders.

Der Sport-Club ging durch Oliver Freund in Führung …

… wenige Minuten später gelang mir jedoch der Ausgleich ...

… und Siegfried Reich entwickelte sich dann vollends zum Freiburg-Schreck.

Ich hatte im Hinspiel beim 3:3 in Wolfsburg schon zwei Tore erzielt. Und im Rückspiel, an jenem 27. Spieltag, gelangen mir nach dem Ausgleich noch zwei weitere Treffer. Wir gewannen am Ende 3:1 und blieben fünf Spiele ungeschlagen. Viel wichtiger war noch: Wir wussten, dass wir gegen die großen Teams der Liga mithalten konnten, hatten entsprechend mehr Selbstbewusstsein, was uns im Abstiegskampf enorm half. Und am Ende konnten doch beide zufrieden sein: Der VfL Wolfsburg hielt die Klasse, der SC Freiburg stieg erstmals in die Bundesliga auf.

Letzteres haben Sie mit dem VfL Wolfsburg knapp verpasst – weil Sie kurz vor dem Bundesligaaufstieg 1997 die Kickschuhe an den Nagel gehängt hatten. Hätten Sie nur mal nicht schon so früh mit 38 Jahren aufgehört …

(lacht) … sondern bis 40 oder 42 weitergemacht, und den dritten Frühling eingeleitet. Nein, das war irgendwann körperlich einfach nicht mehr drin. Eine meiner großen Stärken war mein Antritt gewesen, die ersten Meter mit dem Ball. Da war ich sehr explosiv, zog den anderen davon. Aber mit dem Alter verliert sich die Schnelligkeit, das musste ich mir eingestehen – und konnte am Ende auch guten Gewissens und im Reinen mit mir aufhören. Denn: Ich hatte noch mal zum VfL, meiner großen Liebe, zurückkehren dürfen, hatte großartige Momente wie das DFB-Pokalfinale erlebt, war in turbulenten Jahren mit vielen Trainer- und Spielerwechseln dabei. Damit war ich mehr als zufrieden.

Interview: Christian Engel

Dieser Artikel erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel".

 
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