Taktikschule: Rhythm it is!
In der kleinen Taktikschule, die regelmäßig im Stadionmagazin Heimspiel erscheint, erklärt Martin Schweizer, Sportdirektor der Freiburger Fußballschule dieses Mal, was es beim Fußball bedeutet, Rhythmus aufzunehmen – und wie auch einzelne Paukenschläge Spiele gewinnen können.
Herr Schweizer, was meinen Trainer, wenn sie sagen, ihr Team habe gut in den Rhythmus gefunden? Oder anders gefragt: Spielrhythmus – was ist das überhaupt?
Schweizer: Keine einfache Frage. Nähern wir uns erstmal über das Wort: Rhythmus. Da denkt man an Musik, daran, wie in einer Band verschiedene Instrumente zusammenklingen. Dieses Bild lässt sich gut auf Fußball übertragen, wo Spieler mit verschiedenen Profilen auf verschiedenen Positionen interagieren. Läuft das abgestimmt ab und der Ball gut durch die Reihen, entsteht Spielrhythmus, Spielfluss, eine schöne Melodie. Besonders toll ist es, wenn das Ensemble, das Team, den Rhythmus zudem variieren kann. Wie beispielsweise Bayer Leverkusen in seiner Meistersaison aus dem Positionsspiel Chancen kreieren, blitzartig kontern, aber auch das Spiel über Ballbesitz beruhigen konnte. Ich finde, bewusst gesetzte Rhythmuswechsel sieht man heute im Fußball selten.
Braucht man auch gegen den Ball einen guten Spielrhythmus?
Schweizer: Selbst wenn du auch bei der Defensivarbeit klar definierte Abläufe hast, würde ich hier nicht von Spielrhythmus sprechen. Das Ziel ist jetzt eher, den gegnerischen Rhythmus zu unterbinden, zu brechen. Dominieren die Defensivreihen auf beiden Seiten, kann ein zerfahrenes, von Zweikämpfen geprägtes Spiel entstehen, bei dem kaum einmal Rhythmus aufkommt. Neben dem Gegner können eigene Fehler und Ungenauigkeiten deinen Spielrhythmus stören oder abreißen lassen – ähnlich wie wenn bei einem Orchester jemand im Konzert unvermittelt einen falschen Ton dazwischen hupt.
Der frühere SC-Trainer Volker Finke sagte mal: „Wenn unser Spiel gut funktioniert, ist es wie ein Tanz, und wir kreieren alle paar Minuten eine Torchance.“
Schweizer: Hast du Rhythmus aufgenommen, wirkt es, als hättest du dir den Gegner zurechtgelegt. Bestenfalls alle elf Spieler deines Teams wissen, was passiert und zu tun ist. Es entsteht eine Art Flow und Selbstverständlichkeit im Spiel, kollektive Spielintelligenz kommt zum Tragen: ein Spieler macht etwa einen Tiefenlaufweg, ein anderer kommt in den aufgehenden Zwischenraum davor. Die Pässe kommen im richtigen Moment und Tempo, präzise und aufs richtige Bein gespielt, sodass der Empfänger das Spiel gut fortsetzen kann. Die grundlegenden, vermeintlich simplen Dinge entscheiden also oft, ob Rhythmus aufkommt oder nicht. Extrem wichtig ist etwa der erste Kontakt, also die Ballan- und -mitnahme. Optimal ist: Tack! Der Ball liegt da, und ich habe alle Optionen: quer, diagonal, steil, kurz, lang oder Dribbling! Darauf achten Coaches heute extrem. Denn bin ich unsauber, stockt und holpert das Spiel, der Gegner läuft die Räume locker zu …
… und der Rhythmus geht flöten. Spielrhythmus ist demnach das, worauf man im Training ständig hinarbeitet: die Spieler dahin zu bringen, ihre individuellen Qualitäten gleichzeitig und koordiniert so auf den Platz zu kriegen, dass etwas Rhythmisches entsteht. Muss dafür also nichts weniger als das große Ganze des Offensivspiels flutschen?
Schweizer: Nicht unbedingt. Beispiel: Nach einem Diagonalball haben wir für zwei, drei Sekunden auf der angespielten Seite Überzahl. Halten nun allein die dort involvierten zwei oder drei Spieler den Rhythmus hoch, können sie die Situation mit Hinter- oder Vorderlaufen, Passen oder Dribbeln ausspielen. Überhaupt sind Dribblings – primär auf den offensiven Außen aber grundsätzlich auch überall auf dem Feld – heute oft ein Schlüssel, um die Defensive des Gegners zu destabilisieren. Soli sind also ein wichtiges Element innerhalb eines guten Spielrhythmus.
Wie in der Musik ja auch. Kreiert ein Team, das Rhythmus aufgenommen hat, also wirklich Torchance um Torchance?
Schweizer: Ich würde sagen: Rhythmus begünstigt auf jeden Fall das Erzeugen von Torgefahr. Es kann aber auch sein, du hast zu 90 Prozent einen guten Rhythmus, kommst somit oft in gute Räume, aber nicht zu Torchancen, weil dann die letzte präzise Aktion misslingt. Andererseits kann auch ein Team nach dem Muster „Langer Pass, Ablage, Abschluss“ viele Chancen erspielen. Perfekt umgesetzt kann so ein Spielstil extrem effektiv sein, ohne dass dabei viel Spielrhythmus zu erkennen wäre. Oder aber man sieht kurze Paukenschlag-Sequenzen als den für dieses Spiel charakteristischen Rhythmus an.
Interview: Timo Tabery und Uli Fuchs
Foto: Imago Images
Dieser Text erschien in der letzten Ausgabe unseres Stadionmagazins Heimspiel beim Heimspiel gegen St. Pauli. Das Heimspiel ist auch als Abo erhältlich.

