Feiertags-Interview mit Jan Seifert

Verein
02.10.2022

Jan Seifert war einer der ersten ostdeutschen Fußballer, der nach der Wende zum SC gewechselt ist. Heute ist er Leiter der Nachwuchs-Akademie von Dynamo Dresden.

Der 53-Jährige spricht im Interview zum Tag der Deutschen Einheit über das letzte deutsch-deutsche Europapokal-Duell, maximal unglückliche 29 Minuten gegen den 1.FC Köln, seine späte Bundesligakarriere und Chancengleichheit im deutschen Profifußball.

Jan Seifert, können Sie sich an Ihr erstes Spiel als Profi im frisch geeinten Deutschland erinnern?

Ich habe mich ein bisschen vorbereitet auf dieses Gespräch und recherchiert. Mein erstes Zweitligaspiel mit dem Chemnitzer FC war 1991 gegen den SC Freiburg. Kurz davor haben wir übrigens im Pokal beim Freiburger FC gespielt. Da weiß ich aber nicht mehr, ob ich auf dem Platz gestanden habe…

Sie waren auf dem Platz. Wissen Sie noch, wer damals das FFC-Trikot getragen hat?

War das Thomas Schweizer, der später nach Chemnitz gewechselt ist?

Thomas Schweizer hat in dieser Saison beim FC Basel gespielt. Christian Streich war’s…

Echt?! Sensationell. Das hatte ich nicht auf dem Schirm.

Das Pokalspiel im Möslestadion hat der CFC 1:3 verloren, dafür fünf Tage später das Zweitligaspiel gegen den Sport-Club 2:1 gewonnen.

Freiburg war schon damals eine Mannschaft, die für guten Fußball gestanden hat. Ich muss immer schmunzeln, wenn Spieler sich an Szenen erinnern können, die etliche Jahre her sind. Mir geht’s aber auch so. Ich habe damals das 1:0 erzielt, gleich zu Beginn des Spiels mit dem Kopf. Viele sagen heute noch zu mir, mein Markenzeichen wäre nur der Kopf gewesen…

Sie haben in den beiden Jahren zuvor mit dem CFC noch UEFA-Cup gespielt: 1989 gegen Boavista Porto, 1990 gegen Borussia Dortmund. 1991 dann der Start in der zweigeteilten 2. Bundesliga. Wie war damals die Stimmung im Verein? Zuversichtlich in die Zukunft, oder eher bangend?

Als junger Spieler, ich war damals knapp über 20 Jahre alt, standen plötzlich alle Türen offen. Wir wussten, dass jetzt die Möglichkeit besteht, sich zu präsentieren. Wir hatten beim CFC unter Trainer Hans Meyer eine richtig gute Mannschaft und wurden 1990 noch DDR-Vizemeister. Dynamo Dresden holte nur aufgrund des besseren Torverhältnisses den Titel. Wir hatten das Ziel, es mit Chemnitz in die 1. Bundesliga zu schaffen. Im Nachgang müssen wir froh gewesen sein, es in die 2. Bundesliga geschafft zu haben.

Erstklassig spielte der CFC nach der Einheit nie mehr – Sie dagegen schon. Mit dem Sport-Club. Wie hat sich das damals angebahnt?

Von Volker Finke oder Achim Stocker, das weiß ich nicht mehr genau, habe ich einen Anruf bekommen, ob man sich mal treffen könnte. Sie waren von meinen Stärken angetan – Abwehrverhalten, Schnelligkeit und Kopfballspiel. Freiburg war für mich unfassbar weit weg, aber der Sport-Club hat am Wochenende in Rostock gespielt, das hat gepasst. Die Gespräche liefen dann auch vielversprechend und so wurde ich einer der ersten Ossis beim SC. (Anmerkung der Redaktion: nach Torhüter Gerd Sachs und Mario Barczyk)

In der ersten Freiburger Bundesligasaison 1993/94 war das. Und dann hat es nur für ein Spiel gereicht. Warum?

Ich hatte mich in Chemnitz noch schwer verletzt. Leider wurde das dort nicht richtig diagnostiziert und falsch behandelt. Die richtige Behandlung hat erst in Freiburg begonnen und ich war bis Ende November sportlich raus. Ich war damals alleine in Freiburg und konnte nie eine echte Bindung zur Mannschaft aufbauen. Das war eine harte Zeit. Im Januar konnte ich dann wieder starten, war im Trainingslager in den USA dabei und beim Hallenmasters am Ball. Irgendwann kam dann auch die Chance in der Bundesliga…

… gegen den 1. FC Köln. Ein ganz hitziges Spiel mit einer roten Karten gegen Altin Rraklli und anschließenden Fantumulten vor der Kabine von Schiedsrichter Markus Merk…

Genau. Mein erstes und mein letztes Spiel. Toni Polster war mein direkter Gegenspieler und ist nach einem Zweikampf mit mir im Sechzehner clever gefallen. Elfmeter und Tor für Köln. Dann gab es noch ein Standard für den FC, ich war bei Toni Polster und in meinem Rücken hat Horst Heldt den nächsten Kölner Treffer gemacht. Nach einer gelb-roten Karte für Alexander Borodjuk hat mich Volker Finke rausgenommen. So war meine Freiburger Bundesligakarriere nach 29 Minuten beendet.

Ein verschenktes Jahr?

Es gibt im Fußball keine verschenkten Jahre, man muss nur die richtigen Schlüsse ziehen. Das zieht sich durch mein gesamtes Fußballerleben. Schon als 16-Jähriger wurde ich aus der Sportschule ausgeschult, weil ich zu klein war. Als junger Spieler in Chemnitz hat mich Trainer Hans Meyer mal die kompletten 90 Minuten aufwärmen lassen. Auch die Zeit in Freiburg war schwierig. Aber man lernt aus solchen Erlebnissen, vor allem menschlich und charakterlich.

Fahrt aufgenommen hat Ihre Bundesligakarriere fünf Jahre später um die Jahrtausendwende mit der SpVgg Unterhaching. Ihre beste Zeit?

Nach Stationen beim VfB Leipzig und beim FSV Zwickau nahe meiner Heimat habe ich noch einmal den Schritt gewagt. Unterhaching war meine beste Zeit. Die Mannschaft war mit Freiburg vergleichbar. Es war eine eingeschworene Truppe ohne die ganz großen Stars und frei von Allüren. Im ersten Bundesligajahr haben wir mit dem Sieg am letzten Spieltag gegen Leverkusen den FC Bayern zum Meister gemacht. Wieder am letzten Spieltag eine Saison später hat Schalke gegen uns für eine Minute die Meisterschaft gefeiert. Wir waren leider mit 35 Punkten einer der drei direkten Absteiger. 35 Punkte – das würde heute ziemlich sicher wenigstens für die Relegation reichen.

Sie haben jetzt einige ehemalige DDR-Oberliga-Clubs genannt. Diese Vereine  hatten es lange schwer in der 1. und 2. Bundesliga. War es für Wende-Spieler wie Sie die einzige Möglichkeit, das sportliche Glück im Westen zu suchen?

Für mich selbst waren es Schritte in der Entwicklung. Ich wollte das so. Ich kenne viele Spieler aus meiner aktiven Zeit, die in ihrer Karriere nur für einen Verein gespielt haben und erfolgreich waren. Mir ging es in erster Linie nicht ums Geld verdienen. Zum Profi-Geld hatte ich gar kein richtiges Verhältnis. Es ging mir darum, das Neue kennenzulernen.

Glauben Sie, dass es die ehemaligen DDR-Vereine auch heute noch schwerer haben? Oder herrscht inzwischen Chancengleichheit?

Sie haben es nach wie vor schwerer. Die Strukturen sind bei vielen Clubs nicht mitgewachsen. Strukturaufbau aus dem Nichts mit viel Geld dahinter wie bei RB Leipzig ist machbar. Schwierig ist es bei Vereinen mit jahrzehntelanger Tradition. In vielen Regionen fehlt zudem der wirtschaftliche Hintergrund. Zwickau zum Beispiel hat zwar ein riesengroßes VW-Werk, der Konzern investiert aber in die Fußballmannschaft im Westen. Beim Blick auf die Landkarte sieht man Union Berlin mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten im Ballungsraum Berlin, die werden sich etablieren. Im Raum Sachsen dagegen ist die Wirtschaftskraft für Vereine wie Dresden, Chemnitz, Zwickau oder Aue einfach begrenzt.

Heute ist Tag der Deutschen Einheit. Was verbinden Sie mit diesem Feiertag persönlich?

Ich habe meine Kindheit in der DDR genossen und bin im Sommer halt an den nächsten See gefahren und nicht nach Amerika. Ich habe mich frei gefühlt und es hat mir an nichts gefehlt. Aber natürlich war es nach 1990 als junger Fußballer unheimlich spannend, im Nachhinein vielleicht sogar historisch. Unser Rückspiel im UEFA-Cup bei Borussia Dortmund war am Abend des 02. Oktober 1990. Kurz nach Abpfiff um Mitternacht: Feuerwerk. Tag der Deutschen Einheit. Beim letzten offiziellen Ost-West-Duell war ich also hautnah dabei.

32 Jahre später sind Sie Leiter der Nachwuchsabteilung von Dynamo Dresden. Welchen Stellenwert hat die Nachwuchsarbeit bei Dynamo? Die U19 etwa ist aktuell Tabellenzweiter der A-Junioren-Bundesliga Nord. Wächst da was?

Der Stellenwert ist, glaube ich, mit dem in Freiburg vergleichbar. Wir sehen uns als Ausbildungsverein. Die großen Erfolge in den 1970er- und 80er-Jahren waren geprägt von eigenen Dynamo-Spielern. Das wurde nach der Wende sträflich vernachlässigt. Jetzt sind wir dabei, an die Dynamo-Tradition anzuknüpfen. Die Konzepte der modernen Nachwuchsleitungszentren sind ja teilweise vergleichbar mit den Kinder- und Jugendsportschulen in der DDR. Wir arbeiten wie der Sport-Club an einer gewissen Durchlässigkeit und nehmen uns am Freiburger Weg durchaus ein Beispiel.

Sie haben in Chemnitz unter Hans Meyer trainiert, in Freiburg unter Volker Finke, in Unterhaching unter Lorenz-Günther Köstner. Wer beeinflusst Sie in der aktuellen Arbeit?

Hans Meyer ist schon zu meiner aktiven Zeit andere Wege gegangen, etwa bei den Trainingsinhalten. Bei ihm war ich nicht ein einziges Mal laufen, alles lief über Spielformen. Lorenz-Günther Köstner war alte Schule und legte wahninnigen Wert auf Disziplin. Der fachlich beste Trainer war Wolfgang Frank in Unterhaching. Er hat mir mit 30 die Viererkette beigebracht und ich hatte das Gefühl, nie etwas anderes gespielt zu haben. Den größten Einfluss hatte aber Gerd Schädlich, der unter anderem in Zwickau, Aue und Chemnitz Trainer war. Ich hatte vorher erzählt, dass ich mit 16 aus der Sportschule ausgeschult worden bin und der Fußballzug erst einmal abgefahren war. Er hat mich als 18-Jährigen nach Krumhermersdorf geholt – kennt heute kein Mensch mehr, war in DDR-Zeiten aber ein etablierter Zweitligist. Da konnte ich durchstarten.

… mit letztlich mehr als 250 Spielen in der 1. und 2. Bundesliga. Torsten Bauer, der in Freiburg Ihr Betreuer war, managt hier in der Zwischenzeit die Traditionsmannschaft. Dürfen wir Ihren Kontakt weiterleiten? Vielleicht kommen so ja doch noch ein paar späte Spiele im SC-Trikot dazu…

Sehr gerne. Ich würde mich über eine Einladung nach Freiburg freuen.

Interview: Sascha Glunk

 
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