Durch den Spiegel gehen

Blau spiegelt Rot, um im Zentrum Manndeckung zu betreiben: Gegen den „Sechser“ und die zwei „Achter“ von Rot stellt Blau dafür einen „Zehner“ und zwei „Sechser“.
Verein
24.10.2022

Die kleine Taktikschule im Gespräch mit U23-Trainer Thomas Stamm. Heute mit: Den Gegner spiegeln. 

heimspiel: Herr Stamm, sind Sie als Trainer eigentlich ein Freund davon, den Gegner taktisch zu spiegeln?

Stamm: Nicht unbedingt. Aber ich habe schon so spielen lassen. Spiegelst du den Gegner, willst du Eins-gegen-Eins-Konstellationen auf dem Platz kreieren.

Moment bitte. Spiegeln bedeutet also nicht, die gleiche taktische Grundordnung wie der Gegner zu wählen?

Nein, das wäre ja eher „kopieren“. Beim Spiegeln wählst du die taktische Grundordnung so, dass sich insbesondere im Mittelfeldzentrum Eins-gegen-Eins-Zuordnungen ergeben. Beispiel: Spielt der Gegner 4:2:3:1, also mit zwei „Sechsern“ und einem „Zehner“, könnte man mit einer 4:1:4:1-Grundordnung mit einem „Sechser“ und zwei „Achtern“ spiegeln, um so im Mittelfeldzentrum Eins-Eins-Duelle zu bekommen: unser „Sechser“ gegen deren „Zehner“ und unsere beiden „Achter“ gegen deren zwei „Sechser“. Heißt: Die Zuordnungen ergeben sich quasi von selbst, wenn man die taktischen Systematiken übereinander legt.

Ist Spiegeln von der Kernidee also eine Defensivstrategie?

Ja. Beim Spiegeln geht es darum, griffig zu sein, die Zentrumsspieler können sich einfach am Mann orientieren, zumal man viele kurze Wege hat. Das kann extrem helfen, stabil zu sein.

Aber sind diese Eins-Eins-Konstellationen auf dem Platz nicht für uns selbst unangenehm, sobald wir im Ballbesitz sind?

Ja, wenn kein schnelles Umschalten möglich ist. Klassisches Gegenmittel: bei Ballbesitz die Systematik zu ändern. Beim vorigen Beispiel könnte einer unserer „Achter“ zum zweiten „Sechser“ werden. Mit Ball könnten wir mit zwei „Sechsern“ halbrechts und halblinks gegen einen zentralen gegnerischen „Zehner“ quasi auf Lücke stehen und uns so leichter entfalten.

Könnte man nicht auch an den Seiten spiegeln, um offensiven Außen des Gegners auf den Füßen zu stehen?

Klar. Nachdem Mitte der 90er fast nur noch im Raum verteidigt wurde, kommt die Mannorientierung gerade wieder mächtig auf. Neben den beschriebenen Mischformen spielen Teams auch Manndeckung über den ganzen Platz …

… sozusagen das ins Extrem getriebene Spiegeln. Ist dieser Verteidigungsmodus gerade Erfolg versprechend, weil er für die Gegner noch ungewohnt ist und sie noch nicht wirklich damit umzugehen wissen?

Möglich. Ich denke, gegen eine mannorientierte Defensive zu spielen ist einerseits erstmal grundsätzlich unangenehm. Erst recht für Teams, die sich nicht so viele Gedanken übers Offensivspiel machen. Agiert man andererseits richtig gut mit dem Ball, kann das aus meiner Sicht auch schnell mal die Nachteile der Mannorientierung aufdecken: Etwa könnten zwei breit stehende Stürmer die gegnerischen Innenverteidiger aus dem Zentrum rausziehen, in das dann ein Mittelfeldspieler mit Vollspeed reinstößt …

… und so quasi durch den Spiegel geht. Sind Sie wegen solcher Nachteile kein Fan stark mannorientierten Spiels

Auch. Zudem schränkt es dich einfach ein Stück weit ein, du bist nicht so variabel.

Die Trainerlegende Ernst Happel brachte in den 80er-Jahren nicht nur die Raumdeckung in die Bundesliga, sondern sagte auch: „Spielst du Manndeckung, dann hast du elf Esel  auf dem Platz.“

Das würde ich sicher nicht so sagen. Je näher der Gegner unserem Tor kommt, sind Mann-Mann-Zuordnungen aus meiner Sicht sogar angebracht, um Tore zu verhindern. Grundsätzlich wollen wir beim SC aber das Spiel vom Ballbesitz her denken und unsere Systematik eher am eigenen Spiel mit dem Ball ausrichten statt daran, die Stärken des Gegners zu eliminieren. Ich neige jedenfalls dazu, meine aktuell besten Spieler, deren Qualitäten ich aus dem Training genau kenne, in der für sie besten Systematik auf den Platz zu bekommen und dann zu schauen, wie wir es dabei auch defensiv gut hinkriegen – etwa indem wir den Gegner durch gutes Anlaufen in Unterzahlsituationen lenken. Oder eben auch indem wir ihn in gewissen Räumen spiegeln, wenn das für uns passt und die Jungs sich damit wohl fühlen.

Interview: Timo Tabery und Uli Fuchs

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "heimspiel".

 
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