Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel bei Bayer Leverkusen kommt eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Bernd Schneider
Heimspiel: Herr Schneider, im Vorfeld der vergangenen Weltmeisterschaft in Russland haben Sie in einem Interview auf die Frage, wer das Turnier gewinne, gesagt: "Da gibt es für mich nur eine Antwort - Deutschland". Wollen wir noch mal einen neuen Tipp-Versuch für die diesjährige WM wagen?
Bernd Schneider: Das ist ja eine fiese Konfrontation direkt zu Beginn. Aber klar, neuer Versuch: Deutschland zählt für mich in
Katar wieder zum Favoritenkreis, auch Spanien schätze ich sehr Ein Patzer des damaligen Welttorhüters Oliver Kahn brachte stark ein. Dann natürlich Frankreich als amtierender Weltmeister - und die Engländer fand ich bei der letzten Siegerstraße. Europameisterschaft ebenfalls sehr überzeugend.
Vor der WM 2002 in Japan und Südkorea jedenfalls zählte Deutschland kaum ein Experte zum Kreis der Titelfavoriten, selbst optimistische Ex-Nationalspieler nicht ...
Ganz und gar nicht. Ich erinnere mich daran, wie mir mein Taxifahrer auf dem Weg zum Abflug in Frankfurt sagte, nach den Gruppenspielen hole er mich wieder ab. Er gab, wie viele hierzulande, nicht viel auf uns. Aber das war ja auch naheliegend, wenn man sich die Ergebnisse der vorangegangenen Jahre anschaute: das gruselige Vorrunden-Aus bei der Europameisterschaft 2000, die darauffolgende zähe WM-Qualifikation, als wir daheim von England 5:1 auf den Latz bekamen und erst in der Relegation gegen die Ukraine das Ticket für Japan und Südkorea lösten. Ja, die Begeisterung für die deutsche Nationalmannschaft war vor dem Turnier nicht wirklich groß.
Dann ist es doch umso schöner, gleich zum WM-Auftakt einen 8:0-Sieg rauszuknallen ...
Wir hatten schon einen unfassbar großen Teamgeist in der Mannschaft, brachten viel Leidenschaft auf den Platz. Aber dieses Ergebnis gegen Saudi-Arabien hat uns natürlich beflügelt, eine richtige Welle der Euphorie ausgelöst, die uns noch mal stärker zusammengeschweißt und durch das Turnier getragen hat. Und ich glaube, auch die Menschen daheim haben nach jedem Spiel mehr Vertrauen in uns gewonnen. Da war zwar noch das ärgerliche 1:1 gegen die Iren im zweiten Gruppenspiel, weswegen wir gegen Kamerun doch noch ein bisschen zittern mussten. Aber am Ende standen wir im Achtelfinale, hatten unser Minimalziel erreicht. Und am Ende ging es ja doch noch ein gutes Stückchen weiter.
Bis ins Finale: Nach zuvor drei 1:0-Siegen gegen Paraguay, die USA und Gastgeber Südkorea spielte Deutschland gegen Brasilien um den WM-Pokal.
Das hätten wir vor dem Turnier wirklich nicht für möglich gehalten. Aber im Endspiel war dann natürlich alles drin. Auf beiden Seiten standen Weltklassespieler im Team, bei uns zum Beispiel: Oliver Kahn, Miroslav Klose, Didi Hamann und Oliver Neuville. Oder bei den Brasilianern Roberto Carlos, Ronaldo, Cafu und Lucio - das war schon toll, mit und gegen solche Spieler auf dem Platz zu stehen.
Ein Patzer des damaligen Welttorhüters Oliver Kahn brachte Gegner Brasilien in der Mitte der zweiten Halbzeit leider auf die Siegerstraße.
Oliver Kahn hatte ein sensationelles Turnier gespielt. Ohne ihn und seine unfassbaren Paraden, sage ich, wären wir gar nicht erst bis ins Finale gekommen. Leider hat er den Schuss von Rivaldo nach vorne abprallen lassen, so dass Ronaldo dann eiskalt abstaubte. Bis dahin war es tatsächlich ein ausgeglichenes Spiel, mit Pfostenschüssen auf beiden Seiten. Wenn man im Finale steht, will man es natürlich auch gewinnen.
Am Ende hieß es leider 0:2 aus deutscher Sicht - weil Ronaldo anschließend ein zweites Mal traf. Im selben Sommer hatten Sie bereits zwei Endspiele mit Bayer Leverkusen verloren: das DFB-Pokalfinale im Berliner Olympiastadion mit 2:4 gegen den FC Schalke 04, anschließend unterlagen Sie im Endspiel der Champions League gegen Real Madrid in Glasgow mit 1 :2. Darüber hinaus hatten Sie zuvor die Deutsche Meisterschaft am letzten Spieltag noch verspielt. Viel tragischer konnte es für Sie persönlich in jenem Sommer doch nicht laufen, oder?
Dass wir damals keinen Titel geholt haben, ist natürlich sehr traurig. Rückblickend aber war das dennoch eine fantastische Saison, einfach weil wir so tollen Fußball gespielt, uns die Finals erarbeitet und verdient haben. Am Ende bin ich schon sehr glücklich, in jenem Jahr sowohl mit Leverkusen als auch mit der deutschen Nationalmannschaft so weit gekommen zu sein. Aber logisch: Mindestens einen Titel hätten wir gerne gehabt.
Wie hat damals eigentlich Ihr Taxifahrer reagiert, als er Sie doch nicht nach der WM-Vorrunde abholen musste, sondern Sie als Vizeweltmeister auf der Rückbank begrüßen durfte?
Wir mussten damals beide unglaublich lachen, als ich einstieg. Bei der Hinfahrt, als er mir sagte, er hole mich nach der Vorrunde wieder ab, hatte ich ihm aber schon gesagt: "Komm lieber zwei Wochen später". Und so kam's dann auch.
Christian Engel
Foto: imago images