"Dann spielst du morgen"
Jeder Club hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim FC Bayern München kommt eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Klaus Augenthaler.
Herr Augenthaler, mit 19 Jahren hätten Sie im Januar 1977 beinahe einen großen Coup im Achtelfinale des DFB-Pokals gelandet und einen Titelfavoriten rausgeschmissen: niemand geringeren als den FC Bayern München.
Augenthaler: Und das mit niemand geringerem als den
FC-Bayern-Amateuren! (lacht) Das war damals freilich eine kuriose Konstellation im Achtelfinale: die Profis gegen die Amateure.
Man könnte annehmen, es hätte zuvor eine Absprache gegeben, dass die Profis weiterkommen sollten. Schaut man sich den Spielverlauf und das knappe Ergebnis an, wird man aber eines Besseren belehrt.
Augenthaler: Dettmar Cramer, der Cheftrainer der Profis, hatte vor dem Spiel schon gesagt, dass wir Amateure nicht zu hart reingehen sollten. Er wollte keine Verletzten haben. Und klar war auch, dass die Profis weiterkommen wollten – aber das wollten wir Amateure auch. Wir hatten mit Werner Kern einen sehr engagierten Trainer und ein junges Team, das sich beweisen wollte. Tatsächlich gingen wir durch Willi Reisinger nach einer Viertelstunde in Führung ...
… und die Bayern-Profis schienen auf einmal wach zu sein.
Augenthaler: Vor allem Gerd Müller! Mit einem Hattrick innerhalb von zehn Minuten drehte er das Spiel. Wir kamen aber noch mal ran, glichen beinahe aus, 2:4 stand es zur Pause. Wir haben weiter alles rausgehauen und den Anschluss erzielt, Müller machte dann in der 80. Minute den Deckel drauf.
3:5 hieß es am Ende – ein packendes Spiel und eine knappe Kiste!
Wie man Profis ärgert, hatten die Bayern-Amateure eine Runde zuvor schon bewiesen, als sie den VfB Stuttgart mit Spielern wie Hansi Müller, Dieter Hoeneß oder Karlheinz Förster 2:1 besiegten.
Augenthaler: Ich habe das später als Profi bei Bayern auch zwei Mal erleben müssen, früh aus dem Pokal zu fliegen, weil man den unterklassigen Gegner einfach nicht ernst genug genommen hat. Da gibt man nur 80 Prozent, der Gegner 120 Prozent – und schon erhält man die Quittung. Bei Stuttgart war das ähnlich. Man muss aber auch erwähnen, dass wir Bayern-Amateure ein tolles Team hatten, mit vier, fünf Spielern, die schon täglich bei den Profis mittrainierten.
Unter anderem Sie. Und gegen Ende jenes Jahres 1977 erfüllten Sie sich dann auch den Traum, bei den Profis aufzulaufen.
Augenthaler: Ich spielte bei den Amateuren, hatte aber schon einen Vertrag für die Profis. Eine Einsatzgarantie war das trotzdem nicht. Ich weiß noch, wie Trainer Dettmar Cramer am Abend vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund – im Oktober 1977 – zu mir ins Hotelzimmer kam und fragte: „Junge, wie geht’s dir?“ Als ich „gut“ sagte, sagte er: „Okay, dann spielst du morgen.“ Danach konnte ich die halbe Nacht nicht schlafen und war auch kurz vor dem Spiel extrem nervös.
Dann erlebten Sie aber einen Traumeinstand.
Augenthaler: Nach 20 Minuten schoss ich die 1:0-Führung, holte später noch einen Elfmeter heraus. Am Ende gewannen wir gegen den BVB mit 3:0.
Klingt ganz nach den Bayern. Was aber – auch aus heutiger Sicht – gar nicht nach den Bayern klingt, war die Tabellenplatzierung am Saisonende: Rang zwölf!
Augenthaler: Das war auch die Zeit, als wir manchmal vor nur 11.000 Menschen im Olympiastadion aufliefen. Nach einem erstklassigen Start in die 70er-Jahre, als der FC Bayern drei Mal in Folge Deutscher Meister wurde und auch drei Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewann, folgte eine Flaute. Es war dann gut, dass Paul Breitner 1978 zurückkam, er brachte wieder Schwung in die Mannschaft. Auch Karl-Heinz Rummenigge wurde immer mehr zur Führungspersönlichkeit, nachdem Spieler wie Sepp Maier, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller den Verein Ende der 70er-Jahre verlassen hatten. Der FC Bayern nahm wieder Fahrt auf …
… und errang in den 80ern sechs Meistertitel und drei DFB-Pokal-Siege. Die Meisterschaft von 1990 war ihre siebte Schale – mit dieser Ausbeute und 551 Partien für den FC Bayern München kann man sicherlich zufrieden die Karriere beenden.
Augenthaler: Ich habe alles mitgenommen, was machbar war.
Sogar das „Tor des Jahrzehnts“ der 80er haben Sie erzielt. Die Auszeichnung erhielten Sie von der ARD-Sportschau nach Ihrem Weitschusstor gegen Eintracht Frankfurt in der ersten DFB-Pokalrunde der Saison 1989/90. Nach einem Ballgewinn vor dem eigenen Sechzehner dribbelten Sie vor bis zur Mittellinie und zogen dann aus 50 Metern ab. Instinkt?
Augenthaler: Eintracht-Keeper Uli Stein war ein moderner Torhüter, der gerne weit draußen stand, fast schon Libero spielte. Trainer Jupp Heynckes hatte uns vor dem Spiel dazu ermutigt, auch mal aus der Ferne abzuziehen. Das habe ich beherzigt – und satt getroffen. Wir haben das auch immer mal wieder geübt, nach dem Training ein paar Bälle geschnappt, von der Mittellinie abgezogen. Die Sonderschichten haben sich ausgezahlt.
Interview: Christian Engel
Foto: Imago Images
Bildunterschrift: Klaus Augenthaler (68) bestritt zwischen 1977 und 1991 im Trikot des FC Bayern München 551 Pflichtspiele und erzielte dabei als Libero 74 Tore. Er wurde sieben Mal Deutscher Meister, drei Mal Pokalsieger und 1990 Weltmeister mit Deutschland. Heute arbeitet er als Nachwuchstrainer beim FC Bayern.
Dieses Interview erschien in unserem Stadionmagazin Heimspiel. Mit dem Heimspiel-Abo könnt ihr alle News, Geschichten und Interviews rund um den Sport-Club und dessen Gegner auch immer schon zuhause lesen.

