"Die Saison meines Lebens"

Profis
19.09.2025

Jeder Club hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel des kommenden SC-Auswärtsgegners in Bremen spricht Werder-Legende Ailton über sein erstes Bundesligator im Spiel gegen den Sport-Club, Training unter Felix Magath und die erfolgreichste Bremer Saison 2003/04. 

Ailton, Sie kamen im grauen Oktober 1998 aus Brasilien zum SV Werder Bremen. Wir Süddeutschen stellen uns den Herbst im Norden ganz fantasielos mit Dauernieselregen, heulendem Wind und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt vor. War das damals auch das Bild, das Sie antrafen?

Ailton: Der Schritt von Lateinamerika nach Europa war hart. Es war so kalt hier, ständig Regen. Dann noch die fremde Sprache, eine andere Mentalität, eine andere Art Fußball zu spielen – mit viel Taktik, Körperlichkeit und langen Bällen.

Wie freundlich vom SC Freiburg, dass er Ihnen das Ankommen in Deutschland damals ein wenig versüßte, Sie bei Ihrem ersten Bundesligaspiel am 17. Oktober 1998 gleich ein Tor erzielen ließ.

Ailton:(lacht) Sie haben gut reden, Freiburg konnte diese Partie im Weserstadion damals ja trotzdem mit 3:2 gewinnen. Aber ich erinnere mich noch gut an das Spiel. Ich war gerade eine Woche in Deutschland, stand aber direkt in der Startelf. Der SC Freiburg führte Ende der ersten Halbzeit 3:0 …

… nach Toren von Stefan Müller, Torben Hoffmann und Marco Weißhaupt.

Ailton: Kurz vor dem Pausenpfiff schoss ich dann den Anschlusstreffer. Ein tolles Gefühl! Leider stellte der Trainer zur zweiten Halbzeit das System um und ließ mich in der Kabine.

Jener Trainer, Wolfgang Sidka, wurde nach der Niederlage gegen den Sport-Club entlassen. Die Präsentation des neuen Coaches dürfte Ihre in Mitleidenschaft gezogene Laune in jenem Herbst 1998 nicht unbedingt verbessert haben. Sein Name: Felix Magath. Sein Spitzname: „Quälix“.

Ailton: Im ersten Training unter Magath dachte ich: Wow, was geht denn hier ab?! Er hatte ja recht: Die Mannschaft lag auf dem letzten Tabellenplatz, wir brauchten mehr Intensität. Aber gleich so? Vom Fach her war er ein super Trainer, aber seine Idee von Fußball war so ganz anders als meine. In Brasilien spielten wir Fußball noch wie auf der Straße: instinktiv, frei, kreativ. Hier in Deutschland musste ich erst mal lernen, im System zu spielen, Defensivarbeit zu leisten. Das fiel mir lange Zeit sehr schwer.

Dementsprechend spielten Sie unter Magath kaum, kamen nach Ihrem Debüt gegen Freiburg nur auf weitere elf Ligaeinsätze.

Ailton: Und nach dem Jahr wollte ich eigentlich schon wieder weg, zurück nach Brasilien oder nach Mexiko, wo ich zuvor gespielt hatte. Aber Werder hatte für mich fünf Millionen D-Mark gezahlt ...

… und außerdem traten im Sommer 1999 zwei Personen in Ihr Leben, die alles zum Positiven wendeten: Thomas Schaaf und Claudio Pizarro.

Ailton: Und nicht zu vergessen mein Landsmann Júlio César, der von Borussia Dortmund zu Werder kam. Gemeinsam mit Claudio Pizarro, der aus Peru nach Bremen gewechselt war, waren wir viel unterwegs, haben auch außerhalb des Trainingsplatzes unseren Spaß gehabt. Und Thomas Schaaf hat mir wieder Selbstvertrauen gegeben. Im Sommertrainingslager sagte er zu mir: Ailton, ich gebe dir Freiheiten, du wirst wieder mehr spielen, aber eine Sache musst du mir versprechen: wieder mehr zu trainieren! Ich brachte mich also körperlich wieder in Topform. Und plötzlich lief es.

Das konnte man dann an einigen Ergebnissen jener Saison 1999/00 ablesen. Unvergessen ist wohl der 7:2-Sieg am fünften Spieltag beim VfL Wolfsburg.

Ailton: Mit jeweils einem Dreierpack von Claudio Pizarro und Marco Bode sowie einem Treffer von mir. Besonders mit Claudio harmonierte ich wunderbar. Umso trauriger war ich, als er zwei Jahre später nach München zum FC Bayern weiterzog. Es kamen dann aber andere tolle Typen nach Bremen, ein Jahr später etwa Johan Micoud. 

Mit dem französischen Spielmacher und weiteren außergewöhnlichen Spielern wie Ivan Klasnic, Valerien Ismael oder Tim Borowski bestritten Sie 2003/04 dann die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte. Zudem gewannen Sie neben dem Double aus Pokal und Meisterschaft auch die Torjägerkanone mit 28 Treffern sowie die Wahl zu Deutschlands „Fußballer des Jahres“, was zuvor in der Bundesligahistorie noch keinem ausländischen Spieler gelungen war.

Ailton: Das war mit Abstand die beste Saison meines Lebens. Wir hatten als Truppe unglaublich viel Spaß, haben tollen Fußball gespielt, die Bayern geärgert, als wir drei Spieltage vor Schluss in München mit 3:1 gewannen und uns dort zum Meister krönten. Es war großartig. Ich fühlte mich glücklich wie in der eigenen Familie.

War es ein Fehler, diese Familie dann am Saisonende zu verlassen, als der FC Schalke 04 sie lockte und verpflichtete?

Ailton: Definitiv! Ich hatte zwar auch dort tolle Mitspieler wie Marcelo Bordon oder Lincoln, aber so glücklich wie in Bremen wurde ich nicht. Daher bin ich dankbar, dass meine einstige Familie mich nie verstoßen hat und ich heute als Botschafter des Vereins arbeiten kann. Die Liebe, wie ich sie als Spieler bei Werder Bremen erfahren habe, ist bis heute nicht erloschen.  Interview: Christian Engel

Bildunterschrift: Ailton (52) kam 1998 vom mexikanischen Erstligisten UANL Tigres zu Werder Bremen. Für die Hanseaten erzielte der Brasilianer in 214 Pflichtspielen 106 Tore. 2004 wechselte er nach dem Gewinn der Meisterschaft und des DFB-Pokals zum FC Schalke 04. Heute ist er als Botschafter für Werder Bremen tätig.

Interview: Christian Engel

Foto: Imago Images

Das Interview erschien im Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch als Abo erhältlich ist. 

 
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