Herr Herrmann, während Ihrer Zeit bei Holstein Kiel kam es zu genau einem Aufeinandertreffen mit dem SC Freiburg: 2. Runde im DFB-Pokal 2018/19 – und der Zweitligist Kiel schmeißt den Bundesligisten Freiburg mit 2:1 aus dem Wettbewerb.
Herrmann: Wir haben wirklich gegen Freiburg gewonnen? Da müssen Sie mir auf die Sprünge helfen, dieses Spiel habe ich nicht mehr wirklich in Erinnerung. Habe ich da überhaupt mitgespielt?
Eingewechselt in der 87. Minute.
Herrmann: Ah, deshalb ist es nicht mehr so präsent (schmunzelt).
Nils Petersen brachte den Sport-Club in der ersten Minute in Führung. Janni Serra glich nach einer halben Stunde aus, David Kinsombi entschied die Partie für die „Störche“ zehn Minuten vor Schluss.
Herrmann: Ja, so langsam erinnere ich mich. Ein typisches Pokalspiel eben – da kann, wie man weiß, immer alles passieren.
Ein besonderes Pokal-Highlight haben Sie dann drei Jahre später erlebt – ausgerechnet gegen Ihren Ex-Club Holstein Kiel.
Herrmann: 2019 war ich von Kiel zu Darmstadt 98 gewechselt. Dann kam bald schon Corona – und weil meine Frau und meine zwei Kinder damals im Norden geblieben waren und ich allein in Darmstadt ziemlich isoliert war, wollte ich dann doch bald wieder zurück. Im Sommer 2021 wechselte ich zum SC Weiche Flensburg 08 – und durfte direkt in der ersten Partie im DFB-Pokal ran: gegen Holstein Kiel.
Das Spiel verlief zunächst wie erwartet: Kiel als Zweitligist mit mehr Ballbesitz und Chancen als der Regionalligist Flensburg – trotzdem blieben die 90 Minuten torlos. Es gab Verlängerung …
Herrmann: Nach meinem Abschied aus Darmstadt hatte ich zwei Monate nur für mich Lauftraining gemacht. Eine gewisse Grundfitness war da, mehr aber eben nicht. Nachdem ich bei Flensburg eingetroffen war, absolvierte ich ein reguläres Training, dann das Abschlusstraining, dann direkt das Spiel. Sie können sich vorstellen, wie fit ich nach 90 Minuten noch war. Dennoch folgten weitere 30 Minuten, und die hatten es in sich. Holstein Kiel geht in Führung, wir gleichen aus, Kiel trifft erneut, wir kommen wieder zurück – dann Kiel mit einem Doppelpack kurz vor Schluss. Sechs Tore in der Verlängerung – das hatte ich zuvor in dieser Höhe als Profi noch nicht erlebt.
Das Besondere: Sie schossen beide Treffer für Flensburg.
Herrmann: Und sogar die Kieler Fans jubelten nach den Toren ...
… weil sie überrascht waren, dass Patrick Herrmann auch Tore erzielen kann?
Herrmann:(lacht) Ja, in der Tat war ich in Kiel nicht als Goalgetter bekannt. In meiner ersten Saison dort, also in der Spielzeit 2011/12, traf ich direkt drei Mal – danach nie wieder. Daher war es schon sehr außergewöhnlich, gleich zwei Tore in einem Spiel zu erzielen.
Der Jubel der gegnerischen Fans war sicher ungewöhnlich. Auf der anderen Seite hatten die Kieler jahrelang „Fußballgott“ gerufen, wenn Ihr Name bei der Aufstellung verlesen wurde. Legendenstatus hatten Sie also schon längst erreicht …
Herrmann: Das hat mich total gerührt, als immer mehr Fans im Stadion „Fußballgott“ riefen, wenn sie meinen Namen hörten. Ich erinnere mich, dass Trainer Markus Anfang, nachdem er 2016 frisch zu uns gekommen war, mich nach einem Spiel ansprach: „Sag mal, Patrick, wie wird man denn bitte als Rechtsverteidiger zum Fußballgott?“ Das ist in der Tat untypisch, zumal ich nicht derjenige war, der offensiv ins Eins-gegen-Eins geht oder viele Tore schießt. Ich hatte meine Stärken in der Defensive, im Abwehrverhalten. An mir kam kaum ein Gegenspieler vorbei. Und ich habe immer hundert Prozent reingeschmissen. Das muss bei den Fans sehr gut angekommen sein.
Ihre acht Jahre bei Holstein Kiel waren geprägt vom Kampf um den Aufstieg oder gegen den Abstieg – Jahre der Extreme.
Herrmann: Da waren viele großartige Momente dabei: darunter der Aufstieg in die 3. Liga nach der Saison 2012/13, der knappe Klassenerhalt ein Jahr später …
… als sich Kiel erst am letzten Spieltag durch ein 3:1 beim Tabellendritten SV Darmstadt 98 rettete.
Herrmann: Nicht zu vergessen der Aufstieg in die 2. Liga nach der Saison 2016/17. Und ein Jahr später standen wir als Überraschungsdritter sogar in der Relegation um den Aufstieg in die Bundesliga – wo wir gegen den VfL Wolfsburg allerdings zwei Mal unterlagen. Das waren viele aufregende Spielzeiten. Aber eine ruhige Saison habe ich mir als Spieler auch nie gewünscht. Ich war immer froh um den Druck, den es gab. Das hat mich als Mensch sehr geprägt. Und das hat auch den Verein bis heute geprägt: mit Drucksituationen entspannt umzugehen, Saisonplatzierungen nicht zu arg im Fokus zu haben, sondern vielmehr die Gesamtentwicklung des Vereins. Das macht den Club noch außergewöhnlicher.
Interview: Christian Engel
Foto: Imago Images
Das Interview erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.