"Die logische Konsequenz"

Profis
18.12.2023

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim 1. FC Heidenheim kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Tim Göhlert. 

Herr Göhlert, wenn Fußballprofis ihre Karriere beenden, werden sie häufig Trainer, Funktionäre oder TV-Experten. Die wenigsten dürften Ihren Weg gehen: anschließend als Arzt zu arbeiten.

Göhlert: Das ist definitiv untypisch. Aber ich hatte auch eigentlich gar nicht vor, Fußballprofi zu werden. Hätte das mit dem Fußball nicht so gut geklappt, hätte ich nach meinem Medizinstudium 2009 direkt als Arzt begonnen. Doch ich habe das Vorhaben für ein paar Jahre auf Eis gelegt, um für den 1. FC Heidenheim zu spielen.

Als 19-Jähriger kamen Sie 2003 aus Ihrer Geburtsstadt Chemnitz nach Baden-Württemberg, um Medizin zu studieren. Nebenbei haben Sie beim damaligen Oberligisten SSV Ulm Fußball gespielt.

Göhlert: Ja. Ich hatte schon beim VfB Fortuna Chemnitz Oberliga gespielt und wollte unbedingt auch während des Studiums kicken: als Ausgleich und als Möglichkeit, mir dadurch das Studium zu finanzieren. Wir haben maximal drei Mal pro Woche trainiert, also ging es vom Aufwand her.

Der Aufwand nahm ab der Saison 2005/06 zu, weil Sie nach Ihrem Wechsel zum 1. FC Heidenheim von Ulm aus rund 40 Minuten zum Training auf die Ostalb pendeln mussten. Warum der Wechsel?

Göhlert: Als ich nach Ulm kam, war Dieter Märkle Trainer. Er wurde aber im Winter 2004 entlassen und ging nach Heidenheim. Dafür kam von dort Marcus Sorg zu uns, der später auch mal den SC Freiburg trainierte. Mit ihm war ich nicht so auf einer Wellenlänge, daher freute es mich, als Dieter Märkle mich im darauffolgenden Sommer nach Heidenheim holen wollte.

Dort erlebten Sie ereignisreiche Jahre. Zunächst die Abkopplung vom Mutterverein im Jahr 2007, als die Fußballabteilung den Heidenheimer Sportbund (HSB) verließ, um künftig unter dem Namen 1. FC Heidenheim als eigenständiger Verein zu agieren.

Göhlert: Ein Meilenstein in der Vereinsgeschichte! Die Infrastruktur des HSB war überschaubar. Das Büro, in dem ich meinen Vertrag unterschrieb, war keine zehn Quadratmeter groß. Und dennoch habe ich schon das Feuer in Holger Sanwald gespürt, dem damaligen Leiter der Fußballabteilung und  heutigen Vorstandsvorsitzenden des 1. FC Heidenheim. Da war dieser schier unbändige Wille, erfolgreich zu sein, zugleich aber auch die Vernunft, erst die Arbeit machen zu müssen und dann etwas zu bekommen. Der 1. FC Heidenheim hat also stets in Vorleistung zu gehen, muss erst mal sportlichen Erfolg haben, um finanzielle Mittel zu bekommen und damit die nächsten Schritte – etwa die sukzessive Stadionerweiterung – nehmen zu können.

Der Weg führte mit Blick auf die Ligazugehörigkeit stets nach oben. Nach der Saison 2007/08 stand der Aufstieg in die Regionalliga fest, ein Jahr später ging es hoch in die 3. Liga. Und plötzlich waren Sie Profi! Wer veränderte sich in der Zeit mehr: Sie oder der 1. FC Heidenheim?

Göhlert: Wir haben uns miteinander verändert. Für mich stand dann jedenfalls fest: Ich will einfach Profi sein, solange ich Spaß daran habe – und aufhören können, wenn ich genug davon habe. Mit Holger Sanwald und Trainer Frank Schmidt kommunizierte ich das auch offen und ehrlich. Und sie legten mir keine Steine in den Weg, gaben mir einfach immer vor dem Sommer einen neuen Ein-Jahres-Vertrag.

Auch nicht typisch im Profifußball.

Göhlert: Ganz und gar nicht. Aber das zeichnet den 1. FC Heidenheim eben auch aus: das Familiäre, das Menschliche, ohne dabei den sportlichen Ehrgeiz aus den Augen zu verlieren. Denn das ist Frank Schmidt definitiv: extrem ehrgeizig. Der arbeitet so lange, bis er das für sich perfekte Level – persönlich und mit der Mannschaft – erreicht hat. Das ist manchmal echt anstrengend (lacht), aber eben extrem förderlich für die Entwicklung aller.

In den fünf Drittligajahren zwischen 2009 und 2014 absolvierten Sie nahezu alle Spiele für den 1. FC Heidenheim …

Göhlert: … nur in der Saison 2010/11 war ich lange verletzt. Am ersten Spieltag brach ich mir bei einem Pressschlag das Schienbein und kam erst zum Ende der Rückrunde zurück. Das war der schlimmste Tag meiner Karriere.

Einer der schönsten hingegen dürfte der 19. April 2014 gewesen sein: Der 1. FC Heidenheim stieg durch ein 1:1 bei der
SV Elversberg erstmals in die 2. Bundesliga auf.

Göhlert: Und das bereits drei Spieltage vor dem Saisonende! Das war eine sagenhafte Saison, wir spielten wie im Rausch.

Hätten Sie jemals gedacht, dass der 1. FC Heidenheim kein Jahrzehnt später noch mal eine Schippe drauflegt und in die höchste Liga aufsteigt?

Göhlert: Das war für mich nur die logische Konsequenz, weil der Verein kontinuierlich darauf hingearbeitet hat. Immer in Maßen, immer demütig, aber zielstrebig. Du brauchst schließlich Ziele. Und mit einer erneut perfekten Saison vergangenes Jahr hat es der 1. FC Heidenheim geschafft. Völlig verdient. Schön, die Jungs jetzt in der Bundesliga zu sehen.

 

Interview: Christian Engel

Foto: Imago Images

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist

 
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