Stiller Klassenerhalt im Schwarzwald-Stadion

Foto: Ralf Poller / Pool
Profis
08.06.2020

Bundesliga ohne Stadionzuschauer kennen die meisten Fußballfans mittlerweile aus dem Fernsehen. Live im Stadion verdienen sich die sogenannten "Geisterspiele" aber so wirklich ihren Namen, wie die Reportage von Dirk Rohde zeigt.

Mein Weg zum Schwarzwald-Stadion ist derselbe wie immer. Und an diesem Freitagabend doch ein völlig anderer. Es waren schlicht keine anderen Menschen unterwegs zum Spiel: Keine Fahrradkolonnen entlang der Dreisam, keine Menschen in SC-Trikots, kein Stau auf der Schwarzwaldstraße. Nichts war wie sonst vor einem Heimspiel des Sport-Club. Außer dem bereits eingeschalteten Flutlicht deutete fast nichts darauf hin, dass heute überhaupt ein Bundesligaspiel stattfindet.       

Angekommen auf dem Parkplatz P1 des Schwarzwald-Stadions gehe ich direkt zu einem roten Zelt, das an normalen Spieltagen dort nicht steht, und gebe meinen ausgefüllten und unterschriebenen "Fragebogen für Einlasskontrolle im Rahmen der Durchführung des Sonderspielbetriebs der Bundesliga" ab. Zudem gilt: Hände desinfizieren und Fieber messen. 36,1 Grad Celsius meldet das Stirn-Messgerät. Das ist okay und erleichtert mich. 

Der Gesundheitsfragebogen gehört zum DFL-Konzept der "Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb im Profifußball", ebenso wie die Verpflichtung, mit dem Eintritt ins Stadion einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Mit diesem begibt man sich nach der Kontrolle auf dem Stadionparkplatz nicht wie gewohnt erst in den Presseraum zu Brötchen und Sprudel, sondern unmittelbar auf die Tribüne. Der Presseraum in der Haupttribüne bleibt bei Geisterspielen geschlossen – zumindest für Journalisten. Wer es braucht, darf Verpflegung mitbringen. Auch die Pressekonferenz nach dem Spiel verfolgt man in digitaler Form auf seinem Tribünenplatz.

Auf der Pressetribüne sitzen die zehn zugelassenen Journalisten mit Maske und Abstand, einzeln auf die Reihen verteilt. Dort kämpfe ich als Brillen- und nun auch Maskenträger mit beschlagenen Gläsern und getrübter Sicht. Schnell wird mir klar: So wie mancher Trainer ab und an eine falsche Taktik wählt, habe ich für das Spiel gegen Mönchengladbach die falsche Maske ausgesucht. Derweil lässt Stadionsprecher Claus Köhn im noch völlig leeren Stadion AC/DC laufen.

Aufwärmprogramm mit Verstärker

Nach vier Geisterspielen vor dem Fernseher bleibt später vor allem ein Gefühl: In der Realität wirkt so ein Geisterspiel noch viel unwirklicher als am heimischen Bildschirm. Im Fernsehen blickt die Kamera fast ausschließlich auf das Spiel. Im Stadion blickt man während der gesamten Begegnung immer auch auf die leeren Tribünen. Die Abwesenheit der Fans und Zuschauer ist den ganzen Abend präsent und lässt sich nicht ausblenden wie in der Fernsehregie.

So auch als Alexander Schwolow und Mark Flekken mit Torwarttrainer Andreas Kronenberg ihr Aufwärmprogramm starten und nicht wie sonst bereits eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff von Applaus begrüßt werden. Statt Werbetrailern oder des Programms des Stadionmoderators tönt aus den Lautsprechern weiterhin nur Musik. Jetzt Madness mit "One step beyond", das passt.

Wie später zum Spiel kommen die Gladbacher Profis aus der Ecke zwischen Haupt- und Südtribüne zum Aufwärmen auf den Platz. Wie später beim Spiel ohne aufmunternde Anfeuerung aus dem Gästeblock. Die SC-Profis laufen aus der gegenüber liegenden Nordwest-Ecke auf den Rasen.

Schon jetzt lässt sich der Halleffekt von Geisterspielen bestaunen. Das leere Stadion transportiert die Schussgeräusche, Rufe der Spieler oder Anweisungen der Trainer wie ein Verstärker. Aber es gibt auch Momente der Stille vor dem Spiel. Zum Beispiel als Claus Köhn die SC-Mannschaftsaufstellung verliest. Wo sonst fast das ganze Stadion jeden Namen brüllt, ist es nach der Begrüßung des SC-Trainerteams plötzlich ganz still. Nur ein Brummen ist zu vernehmen, vielleicht ein Generator, dann beendet Claus Köhn den surrealen Moment mit Aerosmith: "Walk this way".

Während der Anpfiff näher rückt und die SC-Ersatzspieler, ebenfalls mit Abstand und den vorgeschriebenen Masken vor der Nase, links unten auf der Haupttribüne Platz nehmen, ziehen über der leeren Gegengerade in der Dämmerung dunkle Wolken auf. Ein Moment, der dafür steht, was Trainer Christian Streich vor diesem Spiel gesagt hat: "Wenn es dunkel wird, das Flutlicht brennt und keine Leute da sind, dann fühlt man sich eigentlich ein bisschen allein." Weil der Geräuschpegel und die Energie, die die Fans der Mannschaft geben können, derzeit am meisten fehlen.

Eine gewaltige Energieleistung wird der SC an diesem Abend trotzdem auf den Platz bringen. Und zumindest dort ist der Geräuschpegel nicht leise, wenn er auch anders ist als gewohnt. Anfeuerung und Applaus für die Mannschaften übernehmen die Ersatzspieler und SC-Mitarbeiter auf der Tribüne und auf der Bank. "Tiefer", "höher", "nicht spielen lassen", "weitermachen" – während der Partie hat auch Christian Streich keine Zeit mehr für Geisterspiel-Gedanken.

Ein weiterer Unterschied zur Fernsehübertragung: Die Kommandos von Trainern und Spielern, Schreie, Rufe, Lob und Korrekturen hallen vor Ort noch viel lauter durchs Stadion. Was interessant ist, aber natürlich nicht verwunderlich. Sonst ruft ja niemand. Auch den Torjubel, nachdem Nils Petersen nach der Pause zum Siegtreffer eingeköpft hat, übernehmen ausschließlich die Spieler selbst. Ein weiterer Spezialeffekt in der skurrilen Szenerie.

Stiller Klassenerhalt

Dass man als Journalist nach dem Abpfiff noch arbeitet und deshalb am Ende im leeren Schwarzwald-Stadion sitzt, ist nicht ungewöhnlich. Wirklich unheimlich wird dieser Geisterspielabend dafür hinterher. Es ist mittlerweile nach 23 Uhr. Endlich von der Maske befreit, laufe ich zu meinem Fahrrad. Auf dem Weg, gleich neben dem Stadion ist: niemand.

Der Sport-Club hat Gladbach schon wieder bezwungen, seine Erfolgsserie gegen die Borussia daheim weiter ausgebaut und vorzeitig den Klassenerhalt geschafft. Aber draußen vor dem Stadion ist es totenstill. Kein Jubel, keine glücklichen Fans, keine Party im Post-Jahn-Biergarten – und auch sonst ist nach dem Spiel fast niemand auf dem Heimweg.

In vielen Stadien hängen derzeit Transparente, auf denen steht: "Fußball ohne Fans ist nichts." Man kann sicher sagen: Ohne Fans ist Fußball immer noch ein spannendes Spiel. So war es heute, und so war es bei den ersten vier SC-Spielen nach dem Bundesliga-Re-Start.

Bei aller wirtschaftlichen Notwendigkeit sind Geisterspiele aber tatsächlich auch gespenstisch. Bei aller Freude darüber, dass der Ball rollt, steht nicht nur die leergefegte Schwarzwaldstraße für den Wunsch: Hoffentlich ist dieser Spuk in absehbarer Zeit wieder vorbei. Der Fußball braucht die Fans – genauso wie die Fans den Fußball brauchen. Unmaskiert und auf ihrem vertrauten Platz im Stadion.

 
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