Beim vergangenen Heimspiel gegen Wolfsburg hat Stadionsprecher Claus Köhn ein letztes Mal die SC-Aufstellung durchgesagt. Nach 35 Jahren und 606 Spielen. Ein Abschiedsinterview.
Mit einem 5:3-Heimsieg gegen Rot-Weiss Essen begann am 24. Juli 1988 deine Zeit als Stadionsprecher beim Sport-Club. Wie kam es dazu, Claus?
Claus Köhn: Ich habe im Heuboden in Umkirch regelmäßig Platten aufgelegt und dort Peter Steffe, den damaligen Stadionsprecher kennengelernt. Als er 1988 Redakteur beim Südwestfunk (heute Südwestrundfunk, Anm. d. Red.) wurde, hat er mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Konnte ich. Ein Mischpult und ein Mikrofon: Das hatte ich als DJ ja auch schon.
Und eine Leidenschaft für den SC?
Köhn: Zu dem Zeitpunkt schon. Früher war ich aber häufiger beim FFC. Als dann Anfang der 80er-Jahre aber der SC langsam hochkam, war mir der irgendwie sympathischer. Im Dreisamstadion konnte man als Fan damals noch einfach rund um den Platz laufen. Das war immer ziemlich entspannt.
Was dann spätestens mit dem ersten Aufstieg in die Bundesliga 1993 der Vergangenheit angehörte. Du aber musstest weiterhin ausgerechnet in den Momenten, in denen alle ausflippen, der ruhigste Mensch im Stadion sein. Ist der Stadionsprecher Claus Köhn eigentlich häufig über den Fan Claus Köhn gestolpert?
Köhn: Selten. Aber bei strittigen Situationen oder ungerechten Schiedsrichterentscheidungen geht der erste Griff immer ans Mikrofon – um zu checken, ob das auch aus ist. Es soll schließlich nicht das ganze Stadion hören, wenn ich mal einen Schrei loslasse – was schon mal vorkommt.
Gab es keine Situationen in denen der Gaul mal richtig mit dir durchging?
Köhn. Nun ja, einmal habe ich über die Stadionanlage gesagt, dass ein Spiel normalerweise 90 Minuten dauern würde, als der Schiri für meine Begriffe zu früh abgepfiffen hatte. Das stand dann hinterher sogar im kicker mit der Bemerkung, dass beim SC nicht alle ihre Nerven im Griff gehabt hätten. Das war aber eine seltene Ausnahme. Schließlich hatte ich immer die Worte von SC-Präsident Achim Stocker im Ohr, die er mir vor meinem ersten Einsatz mit auf den Weg gegeben hat.
Was hat er denn gesagt?
Köhn: "Claus, du machst das jetzt mal. Aber Stimmung machst du keine – die machen die Fans." Das habe ich eigentlich immer beherzigt. Früher gab es die Bezeichnung "Ansager" und als solchen habe ich mich begriffen. Das habe ich wohl von meinem Vater geerbt. In Breisach, wo ich aufgewachsen bin, war er Ansager bei der Fasnacht, bei Stadtfesten und auch bei Sportveranstaltungen wie den Europameisterschaften im Angeln.
Wo es vermutlich nicht ganz so emotional zuging, wie in einem Fußballstadion.
Köhn: Eher nicht. Mir dagegen sind als Stadionsprecher auch schon mal ein paar Tränen gekommen. Wie damals, als wir im ersten Erstligajahr gegen Dresden verloren hatten und alles nach Abstieg aussah. Viel Emotion war auch drin, als Oliver Kahn von einem Golfball getroffen wurde.
Wie entscheidest Du in solchen Momenten, was Du sagst?
Köhn: Es gibt ein Handbuch für uns Stadionsprecher vom DFB, in dem Mustertexte für alle möglichen Situationen stehen. Also wenn Fans Pyrotechnik abbrennen, es ein Unwetter gibt, Feuer im Stadion ausbricht oder es eine Bombendrohung gibt ...
... und das hast Du alles auswendig gelernt?
Köhn: Nein, aber die wichtigsten Sachen habe ich in meinem Ablaufordner abgeheftet. So was, wie zuletzt beim Spiel gegen Leipzig mit den vielen Becherwürfen, hatten wir zum Glück schon lange nicht mehr. In den 35 Jahren gab es sehr wenige Situationen, in denen ich richtig eingreifen musste.
Gab es auch mal richtig Ärger für Ansagen, die Du gemacht hast?
Köhn: Nein. Höchstens mal Kritik wegen der Musik. Zum Beispiel wenn der Vereinssong zum falschen Zeitpunkt eingespielt wurde. Jetzt haben wir vor dem Badnerlied, also kurz vor Anpfiff ja sogar fünf Minuten ohne alles.
Uns würde es ja mächtig unter Stress setzen, Musik finden zu müssen, die einer ganzen Kleinstadt gefällt. Immerhin sind im Europa-Park Stadion mehr Menschen, als in Emmendingen wohnen und die Geschmäcker sind bekanntlich sehr verschieden ...
Köhn:... und sicher hatten viele Leute, darunter übrigens ja auch einige Redakteure von Heimspiel, über die Jahre ganz andere Vorstellungen, hätten lieber Red Hot Chilli Peppers oder so was in der Art gehört. Das war aber nicht mein Stil. Ballermannlieder habe ich aber auch nie gespielt. Der Versuchung habe ich nicht nachgegeben. Gut, mit einer Ausnahme vielleicht ...
... dem Anton aus Tirol?
Köhn: Genau, aber da kam dann relativ zügig der Hinweis – ich glaube sogar von der Trainerbank –, dass das jetzt reiche. Ja, eine Mischung für so eine heterogene Gruppe von Menschen zu finden, ist tatsächlich keine leichte Aufgabe. Auffällig unauffällig muss die sein, habe ich mir immer gesagt. Und die anfangs ziemlich dürftige Anlage im Dreisamstadion hatte der Auswahl zudem Grenzen gesetzt. Zu basslastig durfte die jedenfalls nie sein.
Dass es auch ohne Bass direkt ins Ohr geht, beweist nicht zuletzt Rofo`s Theme, die langjährige Einlaufmelodie, die du dir heute auch für unsere Song-Rubrik gewünscht hast. Immer wenn wir das hören, stehen wir gedanklich im Dreisamstadion der wunderbaren Neunziger. Ist dir eigentlich bewusst, wie tief deine Stimme und deine Musik bei den Leuten hier verankert sind?
Köhn: 35 Jahre sind eben eine lange Zeit und die beiden Male die ich wegen einer Augenoperation gefehlt habe, hat kaum jemand mitbekommen, weil das Geisterspiele in der Corona-Zeit waren. Ja, viele Leute sind quasi mit meiner Stimme aufgewachsen. Aber auch mich und meine Familie hat die Zeit geprägt. Die sind längst alle zu riesigen SC-Fans geworden und haben mich in den vielen Jahren wahnsinnig toll unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Was waren Deine Highlights?
Köhn: Was soll ich da sagen, nach über 600 Spielen in 35 Jahren? Ich habe vorher schon die Anfänge in der Zweiten Liga mitbekommen, und es ist nach wie vor so, dass jedes Spiel in der Ersten Liga oder im Europapokal ein Highlight für mich und den ganzen Verein ist. Persönlich erinnere ich mich wahnsinnig gerne an die zwei, drei Jahre nach dem ersten Bundesligaaufstieg zurück. Vor allem an die tollen, oft witzigen und spontanen Fangesänge im Dreisamstadion und dass damals auch die Gästemannschaften mit Applaus empfangen wurden.
Sprechen dich manchmal Leute an, weil sie deine Stimme erkannt haben?
Köhn: Ja, wobei das ja eigentlich gar nicht sein kann, weil die sich über die Anlage doch ganz anders anhört. Außerdem spreche ich häufig auch mit einer angepassten Stimmlage. Beispielsweise, wenn ich Durchsagen machen muss, wie vor einer Schweigeminute: Erst läuft alles wie immer.
Ich mache Musik, die Fans sind da und stimmen sich auf das Spiel ein, und plötzlich kommt die Gedenkminute, und ich denke mir: Jetzt redest
Du ganz alleine und 35.000 Leute hören nur Dir zu. Das geht mir nahe. Und dann ist es abrupt vorbei, der Applaus brandet auf und das Spiel geht los. Das sind schon sehr spezielle Momente.
Kommt jetzt der speziellste Moment für dich, wenn du nach 35 Jahren am Freitagabend deine letzten Sätze als Stadionsprecher beim SC sagen wirst?
KÖHN: Vielleicht habe ich tatsächlich die ein oder andere Träne in den Augen. Für das letzte Mal, dass ich die Mannschaftsaufstellung
vorlese, habe ich mir überlegt, ob ich sowas sage wie: "Liebe Fußballfreunde, das ist das letzte Mal, dass ich die Mannschaftsaufstellung des SC Freiburg durchsage, und ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mich dabei möglichst stimmgewaltig unterstützt."
Wenn es nach uns geht, wird es dann sehr, sehr laut.
Köhn: Das wäre sehr schön. Und wahrscheinlich wird mir dann schon alles etwas nahe gehen.
Interview: Alexander Roth
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.
Foto: Achim Keller