"Beinahe das Finale verpasst"

Profis
03.02.2023

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel bei Borussia Dortmund kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Lars Ricken

Herr Ricken, im Hinspiel in Freiburg haben uns die Dortmunder Youngster Youssoufa Moukoko und Jamie Bynoe-Gittens mit ihren späten Treffern die drei Punkte aus den Händen gerissen. Im Gegensatz zu uns haben Sie, der diese jungen Burschen über Jahre begleitet hat, diese Auftritte wahrscheinlich genossen.

Lars Ricken: In der Tat ist es toll, auf der Tribüne zu sitzen und zu erleben, wie die Jungs nicht nur mitspielen, sondern auch entscheidend zum Erfolg beitragen. Da geht es euch in Freiburg ja nicht anders, ihr freut euch auch über junge Talente und gebt diesen immer wieder die Chance, sich in der Bundesliga zu beweisen, gar zu etablieren. Das ist gelebte Philosophie unseres und eures Vereins. Gerade für Youssoufa Moukoko hat es mich in jenem Spiel besonders gefreut: Kein Jugendspieler von uns hat in den vergangenen Jahren so viele Trainingseinheiten und Spiele absolviert wie er. Er hat sich die Einsätze bei den Profis absolut verdient.

Das hatten Sie sich damals als Jugendspieler auch: Ihr Bundesliga-Debüt gaben Sie am 8. März 1994, mit gerade mal 17 Jahren. Und kurz darauf feierten Sie Ihre erste Deutsche Meisterschaft, ließen ein Jahr später die zweite folgen. Als Sie mit dem BVB 1997 dann auch die Champions League gewannen, waren Sie immer noch blutjunge 20 – wie geht man als junger Spieler mit so vielen Erfolgen um?

Mein Vorteil war, dass ich während der Meisterschaftssaisons 1994/95 und 1995/96 noch zur Schule ging. Ich hatte also noch andere wichtige Dinge im Leben, nicht nur Fußball. Vor Spielen waren wir meist im Hotel untergebracht. Da wir früher noch samstags Schule hatten, bin ich häufig früh morgens aus dem Hotel geschlichen und mit dem Taxi zum Unterricht gefahren. Als mich die Mitspieler danach mit zum Stadion nahmen, musste ich sie bisweilen fragen, gegen wen es heute eigentlich geht. Ich lebte zwischen den Welten – und glaube rückblickend, das tat mir gut.

In der Saison 1996/97, als am Ende der größte Triumph der Dortmunder Vereinsgeschichte gefeiert wurde, der Champions- League-Sieg über Juventus Turin, hatten Sie zwar das Abi in der Tasche, mussten parallel zum Profidasein aber noch Wehrdienst leisten.

Und beinahe hätte ich deswegen das Champions-League-Finale verpasst.

Wie kam das?

Als Fußballer war ich in dem Jahr viel unterwegs: mit der Jugendnationalmannschaft, mit Borussia Dortmund im DFB-Pokal, in der Liga, im Europapokal. Ich war also selten in der Kaserne – und hatte von manchen Sachen schlicht keine Ahnung. Etwa von der, dass man seinen Spind immer abschließen muss. Denn darin befand sich meine Waffenkarte. Und hätte jemand diese genommen, hätte er sich theoretisch eine Waffe nehmen und jemanden erschießen können. Mir wurde deshalb Kasernengefängnis angedroht. Ich habe aber gesagt, das wäre gerade schlecht, weil ich in einer Woche im Champions-League-Finale auflaufen würde. Das haben sie verstanden. Ich musste stattdessen einen Ersatzdienst leisten, irgendeine Pförtnertätigkeit bei Nacht.

Die schlaflose Nacht als Pförtner dürfte sich gelohnt haben. Schließlich konnten Sie dafür bei der glorreichsten Nacht der Dortmunder Geschichte dabei sein und letztlich sogar einer der Helden jener Nacht werden.

Das Finale gegen Juventus in München war sicherlich eines der Highlights der Vereinsgeschichte. Schön, dass ich dabei war.

Noch schöner, dass Sie mit Ihrem Treffer zum 3:1 einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Titel geleistet haben. Und dann haben die Fans Ihr Tor auch noch zum „BVB-Tor des Jahrhunderts“ gewählt.

Die Wahl war eine besondere Ehre für mich. Ich bin hier in Dortmund geboren, jahrelang als Fan auf der Südtribüne gestanden, mein Vater war als Jugendlicher für die Borussia aufgelaufen, ich war hier 15 Jahre lang Profi. Die Wahl zum „Tor des Jahrhunderts“ fand zwei Jahre nach meinem Karriereende statt. Für mich war das der Zeitpunkt, so richtig mit meiner Karriere abzuschließen und mir bewusst zu werden, welch schöne Zeit ich beim BVB als Spieler hatte.

Noch einmal zurück zu jenem Jahrhunderttor: ein sensationeller Heber aus 30 Metern kurz nach Ihrer Einwechslung. Sie sagten später einmal, Sie hätten diesen Schuss schon während des Spiels geplant …

... also das Tor ist schon über 25 Jahre her und ich habe das Gefühl, mit jedem Jahr kommt ein Meter dazu (lacht). Irgendwann sagte mir mal jemand, cool, wie du kurz nach der Mittellinie abgezogen hast. Tatsächlich stand ich knapp 24 Meter vor dem Tor. Aber ja: Ich hatte es so geplant. Ich saß im Finale 70 Minuten auf der Bank und hatte gesehen, wie Juves Torhüter Angelo Peruzzi häufig weit vor dem Tor stand. Ich sagte mir: Meinen ersten Ballkontakt schieße ich blind aufs Tor. Im Endeffekt war es dann auch die beste aller Möglichkeiten gewesen. Der Ball war drin, und wir holten den Titel.

Interview: Christian Engel

Foto: imago images

 

 
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