"Oh Gott, wieder der Briegel"

Profis
28.04.2023

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim 1. FC Köln kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Pierre Littbarski. 

Herr Littbarski, wenn der 1. FC Köln und der SC Freiburg aufeinandertreffen auf welche Spieler achten Sie da besonders?

Pierre Littbarski: Ich habe viele Spiele des Sport-Club angeschaut und freue mich immer besonders auf die linke Achse mit Christian Günter und Vincenzo Grifo. Diese Konstanz auf der linken Außenbahn ist beeindruckend, die Freistöße von Grifo sowieso. Und Günter erinnert mich mit seinen Vorstößen und präzisen Flanken immer ein wenig an Andreas Brehme. Aber auf der rechten Seite geht’s ähnlich spektakulär zu, da habt ihr mit Ritsu Doan einen wahnsinnig außergewöhnlichen Spieler.

Einen Dribbler, wie Sie einst einer waren.

Littbarski: Ich war ja viele Jahre in Japan und habe Ritsu Doan schon in der Jugend beobachten können. Er war schon immer sehr talentiert, damals aber noch sehr schmächtig. Mittlerweile hat er körperlich zugelegt. Mit seiner Art passt er wunderbar in diese Freiburger Mannschaft, weil er neben seinen tollen Dribblingfähigkeiten auch sehr respektvoll und mannschaftsdienlich ist. Ich würde mich nur freuen, wenn er sich nach Toren auch mal freut. Ein emotionaler Jubel kann manchmal positive Energie auslösen. Aber bei ihm ist es eben die japanische Zurückhaltung – und er lässt sich nicht verbiegen. Auch wichtig.

Talentiert, jung, aber noch schmächtig, sagten Sie über Ritsu Doan. Das sagte man Ende der 70er-Jahre auch über den jungen Pierre Littbarski, als er von Hertha Zehlendorf nach Köln wechselte.

Littbarski: Ich kam 1978 von den Jugendmeisterschaften direkt zu den Profis des 1. FC Köln. Damals wog ich 58 Kilo – wenn ein doller Wind ging, musste ich mich festhalten, um nicht davonzufliegen. Das Körperliche musste ich also kompensieren und das tat ich mit Beweglichkeit und Cleverness. Trotzdem war es gut, im dritten Jahr 68 Kilo auf die Waage zu bringen, robuster zu sein ...

… weil Dribbler ja doch häufig auf die Knochen bekommen.

Littbarski: Klar, das ist dann die Kehrseite vom Dribbling, vor allem wenn da so ein kleiner Fuzzi wie ich ankommt und dir einen Beinschuss verpasst. Das kam natürlich bei manch einem gestandenen Profi nicht gut an. Da hast du vom Gegner vor Spielbeginn schon mal so einen Spruch gehört: „Dich treten wir heute ins Krankenhaus.“ Aber diese Provokationen musste man abkönnen – und sich nicht einschüchtern lassen, sondern trotzdem sein Ding durchziehen.

Wer war denn Ihr härtester Gegenspieler?

Littbarski: Ich war froh, Jürgen Kohler jahrelang als Mitspieler zu haben, es war ein Genuss, nicht sein Gegner zu sein. Wer mich stets auf die Palme brachte, war Hans-Peter Briegel, Spieler des 1. FC Kaiserslautern. An dem konntest du dreimal vorbeidribbeln, und dreimal stand er trotzdem wieder vor dir. Der ließ nicht locker. So gerne ich ihn heute mag, so sehr habe ich ihn damals als Gegenspieler gehasst. Schon vor dem Spiel dachte ich immer: „Oh Gott, jetzt kommt wieder der Briegel!“

In einem 11-Freunde-Interview vor zehn Jahren sagten Sie: „Die Zeiten der Fummelkutten sind vorbei.“ Wenn wir uns in der Bundesliga Jamal
Musiala, Randal Kolo Muani oder Ritsu Doan angucken, müssen wir widersprechen. Da wimmelt es nur so von Tricksern.

Littbarski: Und ich bin sehr froh, dass wieder mehr gedribbelt wird. Das Interview war damals ein Hilfeschrei – zum Glück hat man ihn erhört. In jener Zeit wurde alles durch Passspiel gelöst, denken Sie nur an den Ballbesitzfußball von Pep Guardiola, das ewige Tiki-Taka. Auch beeindruckend auf seine Art und Weise, aber für mich auf Dauer gähnend langweilig. Fußball ist ja ein Stück weit Unterhaltung für die Fans, und Dribblings tragen dazu bei, weil sie spektakulär sind. Außerdem erhöhen Dribbler die Variabilität im Angriffsspiel, weil der Gegner nie genau weiß, dribbelt er jetzt oder passt er.

Nur, wenn du hängen bleibst, …

Littbarski:… dann stöhnt das ganze Stadion. Dann heißt es „brotlose Kunst“ und „alter Fummler“. Aber wenn du durchkommst, raunen sie. Für mich war immer wichtig, mit dem Dribbling das Ziel zu verfolgen, im Anschluss eine gefährliche Situation kreieren zu können: eine Flanke, einen Abschluss – was auch immer zum Torerfolg führen kann. Einfach nur dribbeln, um den Gegner zu veräppeln, das war nicht meins – auch wenn ein
Beinschuss mit anschließendem Granteln des Gegners natürlich stets Freude bereitete. Wichtig war auch, dass Trainer mich haben dribbeln lassen. Nichts war schlimmer, als ständig zu hören: „Du sollst nicht dribbeln.“ In der Ausbildung von Talenten hat man Dribblings in Deutschland jahrelang zu viel unterbunden, wie ich finde.

Die brasilianische Trainer-Legende Felipe Scolari sagte mal zu Ihnen: „Du bist kein Deutscher. Du bist ein Brasilianer. Schau dir nur mal an, wie du Fußball gespielt hast.“

Littbarski: Diese Aussage war eine Riesenehre für mich. Scolari hat die Dribbler auch geschätzt, denken Sie nur an Kaká, Ronaldinho oder Neymar, die unter ihm in der Nationalelf spielten. Er hat ihnen Freiheiten gegeben, weil er wusste: Die Fummelkutten können den Unterschied ausmachen.

 

Interview: Christian Engel

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist

Foto: Imago Images

 
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